Platte.Berlin – aw2023
Bilder: Boris Marberg
Text: Boris Marberg & Gerhard Paproth
Adidas auf der Berliner Modewoche mit einer revolutionären Vision von neuen Wegen in der Modeindustrie? Kaum. Und schon gar nicht bei PLATTE.Berlin. Denn das Berliner Label versteht sich als ein Raum für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie und Konsum. Eine etwas täuschende Ankündigung dieser Veranstaltung sorgte im Vorfeld für irritierte Erwartungen, die auch in den Medien geschürt wurden.
Mit der Mode- und Kunstperformance „own the Reality -Realitywear“ mit The Yes Men (dieser Partner wurde verschwiegen) hat PLATTE.Berlin nämlich keine eigene Modenschau im üblichen Verständnis veranstaltet, sondern im solidarischen Sinne Ort und Gelegenheit bereitgestellt, gleich zu Beginn der Modewoche in Berlin mit einer sinnverkehrenden, spektakulären und irritierenden Laufstegschau den Kritikern eine neue Deutungsversion über den Konzern Adidas zugespielt.
Adidas-Kleidung wurde von den beiden Designerinnen Isabell Schnalle und Paula Keilholz, welche das kreative Duo „Threads and Tits“ bilden, zerlegt, bizarr wurden Elemente zusammengefügt und rabiat wurde das Markenlogo den Modellen auf die Haut eingebrannt – „Branding“ hier ganz wörtlich dargestellt. Die Personen werden damit nach außen als Eigentum des Konzerns kenntlich gemacht. Ein Besitz- und Eigentumsanspruch, der demzufolge im Denken und im Selbstverständnis des neoliberalen Unternehmers als tief verwurzelt gebrandmarkt wird und sich nur marginal von der menschenverachtenden Gesinnung von Sklavenbesitzern der Kolonialzeit unterscheide. Das Logo von Modemarken – im Falle von Adidas die drei Streifen – werden zu Gitterstäben eines kapitalistischen Gefängnisses umgedeutet.
Sowohl der Arbeiter(sklave) in seiner Abhängigkeit, als auch der Konsument, der sich mit dem Logo „schmückt“, sind dem Diktat des Konzerns auf unterschiedlichen Ebenen verhaftet.
Viele solcher visuellen Um- und Ausdeutungen führten zu bizarren Bildern, regten zum Nachdenken an und diese Schau legte den Finger in die Wunde des solcherart verzerrten und demontierten Konzernbildes. Ohne Frage kann und muss viel Kritik an den internationalen Konzern, dessen Ressourcenverschwendung und den Umständen der Produktion, der Lieferketten und dem Ausbeutungssystem in der Herstellung geübt werden.
Die irreführende Ankündigung und die spektakuläre Wende mit der Performance hat ihr Ziel nicht verfehlt, denn zahlreiche Modeblogger und Journalisten haben die lancierten (diffusen und gefälschten) Pressemitteilungen und -informationen für bare Münze genommen, eifrig in ihren Medien weiter geleitet um dann – nach der Schau – in Windeseile zurück zu rudern und ihre Artikel aus dem Netz zu nehmen.
Bekanntlich ist Adidas nicht der erste Konzern, der ins Visier des Formates von The Yes Men und deren Kreativumfeld gekommen ist. Dass Adidas sich bei Kritik auch bewegen kann, wurde im Falle von Kanye West im Zusammenhang mit antisemitischen Äußerungen klar. Das schadete bislang aber nachhaltiger dem Firmenimage, als die ebenfalls bekannte ausbeuterische Produktion und Ressourcenverschwendung.
Zu Recht wird diese Kritik auf der Modewoche in Berlin, die sich seit Jahren als zentrale Veranstaltung für insbesondere Nachhaltige Mode verstehen möchte, geübt. Unter anderem Upcycling wird hier von verschiedenen Designern als geeignetes alternatives Herstellungskonzept betrieben und weiterentwickelt.
Ein spannender, geistreicher und interessanter Einstieg in die Modewoche.