braveNEWworld, Fashionweek Berlin aw2023 – Bolle Festsäle
Text & Bilder: Boris Marberg
„braveNEWworld“ nennt Rebekka Ruétz mutig ihre neue Kollektion.
Wuchtige Silhouetten und Asymmetrien in den Konstruktionen prägen die meisten der 34 Looks. Vielfach wird auf Stoffe der Raumausstattung zurückgegriffen, die schimmernd sind oder griffige, räumliche Strukturen und Texturen haben. Gepaart wird dies mit den Oberflächen von Überbleibseln funktioneller Stoffe für Wintersportbekleidung, die isolierend sind. Die vielen A-Silhouetten sind in die Breite gehend mit teilweise üppigen Volumen und die Flächen sind gebrochen oder öffnen den Blick auf Spitzenunterwäsche. Dies bringt eine neckische, sexy Sichtweise in die Kreationen. Es stellt sich der Eindruck eines kubistischen Ansatzes bei den Flächenkompositionen ein – insbesondere bei der Oberbekleidung. Die Kreationen werden fast durchgängig mit Bändern und Gürtel abgeschlossen, so dass Konturen entstehen, welche die Flächen hervorheben und dass das Styling unterstreichend mit Blickfängen auflockert wird. Die Designerin greift als Quelle für das Material in dieser Kollektion ausschließlich auf vorhandenes recyceltes Material und Reste zurück.
Farblich spielt Ruétz mit dem Wechsel von warmen und kühlen Farben. Neben Lila und Türkis finden sich Schwarz, cremiges Weiß, Rot und Gelb bis Ocker.
Der Titel der Kollektion impliziert radikale Änderungen und Sichtweisen, um (vermeintlich) als Kulturgesellschaft bestehen zu können und ist aktuell mit Vorsicht zu genießen. Es werden Erwartungen an Mode und Konsum thematisiert. Die „schöne neue Welt“ ist als Begriff geprägt von der vermeintlichen Dystopie einer Gesellschaft, die Aldous Huxley 1932 literarisch als ein Gesellschaftsmodell beschreibt, welches alle Impulse und Bestrebungen zu Veränderung von gesellschaftlichen Strukturen wie Indoktrination, Konsum, Drogen und primär der Unterdrückung aller sexueller Befriedigung auslöscht. Aus dieser Sicht wäre das Kollektionsmotto kontraproduktiv. Mode ist per se körperlich und Mode lebt von der Lust sich auszudrücken und wird von Modedesign in einen vorhandenen zeitgenössischen Kontext gebracht und formiert.
In der globalen Krise wettstreiten Konzepte der Nachhaltigkeit mit dem nicht bremsbaren Wuchern des Konsumdiktats. Rebekka Ruétz fühlt sich einer nachhaltigen und verantwortungsvollen Produktion verpflichtet und griff wie beschrieben für diese Kollektion komplett auf recyceltes Material zurück. Die Materialwahl und die Präsentation mit Ski-Brillen führt uns zur Assoziation mit alpinem Wintersport – der nicht gerade als ein Paradebeispiel für Nachhaltigkeit und verantwortungsvolle Lebensweise verstanden wird. Er ist mit Klischees behaftet und massiv die Umwelt belastend. Die Überreste dieser funktionalen Sportbekleidung versöhnlich in neue Formen und Verwendungen zu bringen vermag hier womöglich einen Impuls zu setzen.
