Ein Gespräch mit der Preisträgerin von 2017
Text, Bilder und Interview: Gerhard Paproth
Letztes Jahr hat die Schweizer Designerin gleichzeitig den Grand Prix du Jury Première Vision und den Prix Publique in Hyères gewonnen und damit nicht nur Preisgeld, sondern auch Angebote mit bzw. für Chanel und Petit Bateau Kollektionen zu entwerfen. Dieses Jahr war sie allgegenwärtig. Kurz zuvor hatte Vanessa Schindler erst ihre Ausbildung beendet (Diplom Head Genève) und der Segen kam wohl mehr als überraschend: Experimentierfreudige Menschen mit unzulänglichem Interesse an Kommerzialität freuen sich ja meistens schon sehr, wenn sie irgendwo bei Wettbewerben Beachtung finden und mit Preisen rechnen sie eher nicht.
Sicher hat die Anerkennung für einen zusätzlichen Auftrieb gesorgt, aber die lebhafte Jungdesignerin ist ohnehin sehr fleißig und engagiert und auch neugierig und umtriebig. Auf der Fashionweek Berlin SS2018 hatte sie schon kurz danach ein Défilé.
Auf vielen Ebenen war sie in dem Jahr seither aktiv: Auf dem Festival in Hyères sah man jetzt einen Film von ihr und eine Installation, gemeinschaftlich erarbeitet mit Marine Giraudo. Alle Festivalmitarbeiter (und auch viele Besucher) trugen Outfits ihrer maritimen Kollektion für „Petit Bateau“ (hauptsächlich Kindermode), die man auch im Shop erwerben konnte. Ein Showroomabteil war mit ihren spannenden, neuen Kreationen („Chapitre3-La Frivolité“) ausgestattet, ziemlich aufwändigen und experimentellen Arbeiten mit Kunststoffen (besonders Uréthan) und Materialmixturen sowie ungewöhnlichen Applikationen sowie ein raffiniert-schlichtes Schmuckensemble für „Chanel – Maison Lesage“. Vor Ort erklärte sie unermüdlich dem Publikum die verschiedenen Teile, ohne die gute Laune zu verlieren. Und an drei Abenden hatte sie außerdem ein eigenes Défilé zu betreuen, ein paar Kilometer entfernt, wo diese Teile auf den Laufsteg zu bringen waren. Und nicht zuletzt kann man selbstverständlich auf mehreren ihrer Webseiten die verschiedensten Orientierungen ihrer Produktivität verfolgen.
Installation Vanessa Schindler und Marina Giraudo „URÉTHANE“ 2017:
aus der Kollektion für „Petit Bateau“ (im Shop):
für Chanel – Maison Lesage (Showroom):
Kollektion 2018 „Chapitre3-La Frivolité“ (Showroom):
Wir waren morgens rechtzeitig zum Gespräch verabredet, danach war ihr Showroomabteil schon überfüllt. Für mein Oldschool-Aufnahmegerät, das heute drohte, seinen Geist aufzugeben, hatte die entspannte Nachwuchsdesignerin nicht einmal einen kritischen Blick übrig, sondern meinte nur schmunzelnd „wenn’s schief geht, müssen Sie halt ein Gedächtnisprotokoll schreiben!“ Eine zutreffende Prognose.
modaCYCLE: Sie haben letztes Jahr gleich zwei Preise gewonnen – neben dem Geld ist damit eine Zusammenarbeit mit Chanel und eine mit dem Haus Petit Bateau verbunden. Das erscheint als sehr vorteilhafte Nachwuchsförderung, darum sind wir neugierig, wie sich das gestaltet hat.
VANESSA SCHINDLER: Die Arbeit mit Petit Bateau dauerte acht Monate, ich hatte gleich nach dem Festival letztes Jahr damit angefangen. Ausgangspunkt war das maritime Modethema, also zunächst die blauen Streifen, in das ich meine experimentellen Versuche integriert habe. Weil das Projekt auf industrielle Fertigung angelegt war, habe ich den technischen Herstellungsvorgang einbezogen, das war insofern neu für mich. Es gab aber keine Probleme, denn Petit Bateau hat mir von Anfang an alles offen gelassen und sich bei der Realisierung vollständig auf mich eingestellt. Das war sehr angenehm und verlief konstruktiv, ich habe dabei viel über so eine Prêt-à-Porter-Realisierung gelernt. Überhaupt war es ein sehr aktives Jahr, letztlich hatte ich ja gerade erst meinen Ausbildungsabschluss hinter mir und mit so viel Aufmerksamkeit nicht gerechnet.
modaCYCLE: Sie durften auch für Chanel arbeiten. Das stellen wir uns sehr herausfordernd und aufregend vor.
VANESSA SCHINDLER: Auch die Arbeit mit Chanel war sehr spannend, da habe ich eine Schmuckkollektion gemacht. Auch hier hat sich das Unternehmen ganz auf mich eingestellt, die Mitarbeiter waren total nett. Sie hatten überhaupt keine Vorbehalte gegenüber den material-experimentellen Besonderheiten und Herausforderungen. Alles war sehr entspannt – sie sagten mir gleich zu Beginn „Seien Sie unbesorgt, letztlich ist ALLES möglich!“ Der Einblick in die Arbeit des Hauses und die Kooperation waren auch sehr bereichernd.
modaCYCLE: Wie kommt man damit klar, wenn plötzlich so viel Erfolgsdruck an einen herangetragen wird? Ist das nicht eine enorme Beschleunigung, die einen erst einmal beunruhigt?
VANESSA SCHINDLER: Der Erfolg kam sehr überraschend für mich, natürlich habe ich mich sehr darüber gefreut. Gleichwohl verfolge ich weiterhin gelassen und neugierig mein experimentelles Interesse, das ist letztendlich das, was meinen Spass an dem Ganzen ausmacht.
modaCYCLE: Technische Experimente werden die Stoffe der Zukunft bestimmen, die Forschungen zum Tragekomfort (Atmung, Klimawirksamkeit etc.) sind schon sehr extensiv. Interessieren Sie sich dafür auch?
VANESSA SCHINDLER: Ja, das ist richtig. Das interessiert mich sehr und es berührt auch oft das, was ich mache. Letztlich aber ist meine Ausrichtung das experimentelle Vergnügen. Die stilistischen und ästhetischen und visuell spannenden Möglichkeiten und Ergebnisse sind für mich entscheidend und von praktisch orientierter Forschung unabhängig.
Runway 29. 4. 2018