Paris digital – Schauen mit kleinen Vorteilen

Paris digital – Schauen mit kleinen Vorteilen

Fashionweek Paris Fall Winter 2021

Text: Gerhard Paproth
Bilder: Screenshots aus den Netzvideos

 

„Aber, um es klar zu sagen, alle Häuser brennen darauf, zu physischen Shows zurückzukehren. Viele Designer sind sehr frustriert“ sagt Pascal Morand, Exekutivpräsident der Fédération de la Haute Couture et de la Mode Paris dem Fashion Network und unterstreicht damit auch unseren Eindruck, dass die Digitalisierung der Modewochen wirklich nur eine vorübergehende Lösung ist beziehungsweise sein kann. Und dass das Besondere fehlt.
Dabei hat sie, das muss man zugestehen, auch positive Nebeneffekte, die man nicht verschweigen sollte. Als berichtende Presse kämpft man in Paris nicht mehr um Zutritt bei herablassend ignoranten Presseagenturen – mit stets hohem Frustrationspotential. Demokratisch und pluralistisch steht die gefilmte Schau nun jedermann umgehend im Netz offen und demonstriert auch, dass die aufgesetzte Exklusivität als vorangestelltes Besuchskriterium ins 19. Jahrhundert Frankreichs gehört und nicht in ein Modeverständnis von heute. Der zweite nennenswerte Effekt ist, dass die Schauen filmisch dichter präsentiert werden können und dass schöpferische Anliegen mit weiteren Mitteln wirkungsvoll unterstrichen werden können. Und zum dritten ist der ökologische Einspareffekt nicht von der Hand zu weisen, wenn unzählige Reisen und Transporte entfallen.

All das reicht unserer Ansicht nach allerdings nicht aus, um Modepräsentation grundsätzlich ins Internet zu verlagern, denn die Mode ist stets Teil unseres authentischen Lebensalltags, soll es sein und muss den ganzen Weg vom Konzept bis zur realen Nutzung auch darin angesiedelt sein. Aber, immerhin, die filmische Aufbereitung verstärkt die Möglichkeit, einen Abglanz vom Realen aufzupolieren und, quasi aus zweiter Hand, jedermann umgehend verfügbar zu machen.

Schon zur Berliner Fashionweek merkten wir an, dass genaue Terminierung in der Woche zweifelhaften Schein mit sich bringt, der dann noch mit dem Begriff „live“ gekrönt wurde, wenn gar nichts mehr daran live war. Und zur Pariser Fashionweek wird mitgeteilt, dass diverse Designer aus unterschiedlichen, nachvollziehbaren Gründen aus dem programmatischen Zeitrahmen ausbrechen – vorher, nachher (Dior, Vuitton, Tom Ford) oder gar nicht (Comme des Garçons und Junya Watanabe sowie Balenciaga, Saint Laurent und McQueen) auftreten. Auch das gibt Anlass, darüber nachzudenken, wie zwingend das Programmatische der Fashionweeks überhaupt sein muss. Verglichen mit der Musikbranche hat ein Festivalcharakter viele Vorzüge, gleichwohl bleiben saisonale Einzelkonzerte attraktiv und wertvoll, auch wenn der konkurrierende oder integrative Aspekt entfällt.

Wir glauben, die erzwungene Netzpräsentation zeigt auf, wie man einerseits das Programm der Schauenkonzeptionen ergänzen kann und andererseits wie der Wegfall des Authentischen spürbar wird. Wenn das ernst genommen und daraufhin gut strukturiert und organisiert wird, kann man durchaus optimistisch in die Zukunft der fortgesetzten, klassischen Modewochen schauen.

In Berlin war das noch unzulänglich erdacht und organisiert, gerade weil die großspurigen Ankündigungen anderes erwarten ließen. Die großen Modehäuser, die in Paris nicht so vordergründig angeberisch daher kommen können, verfolgen auch in der beschränkten Situation komplexere Initiativen und binden kompetente mediale Macher mit ein. Die Fédération fördert Newcomer auch finanziell bei den Videoproduktionen. Das ist eine erfreuliche Feststellung bei der Beobachtung. Ein paar wenige Auftritte der teilnehmenden 92 Häuser seien nachfolgend beispielhaft angeführt (und empfohlen), nach dem ersten Tag und ohne auf die großen Klassiker abzuheben. Weitere ausgesuchte Beispiele werden folgen.

 

Sankuanz: Show unter dem Eiffelturm am Eröffnungstag der Paris Fashion Week:

https://www.youtube.com/watch?v=_9oftT4W5fc&feature=emb_logo
Modevideo von Feng Liang

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Das beeindruckende Modekonzept kommt aus China, unabhängig, offensiv bis aggressiv, sehr eng den Zeitgeist abstrahierend und visualisierend und filmisch schlicht aber gut kalkuliert, effektvoll umgesetzt. Auf, unter und am (fast schwarzen) Eiffelturm in der Nacht demonstriert Kleidung den nächtlichen Großstadtmythos im modernen und auch düsteren Sinne, alle relevanten Aspekte des untergründigen Nachtlebens führt die Kollektion in faszinierenden Facetten zusammen.
Eine sehr eigene Ästhetik, die sich Erscheinungen zum Beispiel aus digitaler Branche, Sci-Fi und Rockerhärte zu einer kämpferischen, selbstbewußten allgemeinen Großstadtposition zusammensetzt und dabei große Vielfalt der Strömungen und Prägungen aufgreift und ziemlich kompromisslos formuliert.

 

TAAKK aus und in Japan:

https://www.youtube.com/watch?v=Syy14pG550E
Written & Directed by Nagisa Kodama

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Eine charmant-verträumte, filmische Reise nach Japan mit einem nachdenklichen jungen Mann führt die ebenfalls asiatische Marke Taakk vor, sehr filmisch angelegt, stimmungsvoll und von einer warmen Kommentatorenstimme und subtiler Musik begleitet. Ganz das Gegenteil zu Sankuanz. Etwas verloren und still aber doch auch einen anderen Aspekt der Generation beschreibend, der eher eine vergeistigte, beseelte und wohl auch romantische Version repräsentiert. Auch hier ist die Großstadt still und eher verloren-verlassen, sie erscheint in diffuser Dämmerung. Der Protagonist, der sich da aufhält, haucht ihr sein Leben ein und vermittelt den unprätentiösen Orten seinen Geist.

 

Institut Francais de la Mode: Master of Arts Graduate:

https://youtu.be/q9NHiLiXQEc
Produktion des Hauses

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Die Paris Fashionweek automne-hiver 2021-2022 protegiert dieses Mal ihre Modeschule mit Vorzeigenimbus, das Institut Francais de la Mode, nicht zuletzt um der ausländischen starken Konkurrenz etwas entgegen zu halten und um die eigene Ausbildung zu fördern. Eine Schau mit seinen Graduierten steht quasi am Anfang der Fashionweek. Sie ist sehenswert, weil die Mischung aus exzentrischen Einfällen und hoher Professionalität in diesem Stadium starke Faszination ausübt. Hier steht allerdings der Zeitgeist der schnellen Filmschnitte dem Genuß der detaillierten, sehr individuellen Konzepte entgegen, es geht alles rasend schnell. Da das Filmchen aber auf youtube bleiben wird, kann man immerhin stoppen und betrachten wann immer es einem beliebt. Angaben zu den beteiligten Graduate – Designern fehlen leider und sind auch auf der Webseite der Schule (https://www.ifmparis.fr/en/) nicht zu finden.

 

Cecilie Bahnsen: Fall Winter 2021 „The City“:

https://www.youtube.com/watch?v=LcyKKCDBEb8
Direction by Mikkel Stenild

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„I was drawn to the beauty of an empty city – with an imposing and industrial feel. In a very natural way, the mood and the storyboards for the film became the inspiration for the colours and mood of the designs.“ Die Gegenwartsbezogenheit überführt die schwedische Designerin nicht nur in die Modeerscheinung und -stimmung, die kombinierten Stricksachen sind auch saisonbezogen und sehen meist warm und kälteschützend aus. Gesteppte Seiden und Ausschnitte, Coupé und Kordeln, Blumen und Falten wurden für diese Saison zu einer Art Montage kombiniert und geschichtet, so dass das Ganze eher additiv ergänzend gedacht ist und nicht verschmelzend. Auch dies mit leichter Exzentrik sehr romantisch geprägt.

 

Kimhēkim: Collection I HIM (Love Yourself First)

https://www.youtube.com/watch?v=BEGSFafgzAQ
Creative Director : Kiminte Kimhekim

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Der koreanische Designer bezieht sich einerseits wieder auf koreanischen Chic, indem er die Hanbok-Ästhetik (koreanische Tracht) wiederbelebt, diese aber überführt in die Sexyness moderner Urbanität. Daneben kommen auch Burka-Interpretationen zum Zuge, die zwar nicht mit Sexyness punkten können, aber durchaus auch Assoziationen zu unserer Corona-Masken-Gegenwart erlauben. Frisch, einfallsreich, handwerklich liebevoll gefertigt und in den Silhouetten mit klassischem Alltags-Chic konzipiert werden die Präsentationen im Filmchen mit einem Schlagzeugsolo vorgeführt, einfach, aber sehr spannend gemacht. Nicht der Lifestyle oder Befindlichkeiten sondern gute Ideen stehen im Mittelpunkt.

 

Wataru Tominaga: fall winter 2021-2022
https://www.youtube.com/watch?v=rnFucg86Qi4
Art Direction : Yudai Tanaka

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Ein vergnügt editiertes Filmchen führt die bunte, manchmal etwas hippieske Mode für Adoleszenten vor. So jung gibt sich auch die collagenhafte Begleitmusik – Überreste der Minimalwavesounds der frühen 80er. Ein bunter Mix diverser Retroerinnerungen, die in eine verspielte Gute-Laune-Ästhetik überführt werden sollen. Das korrespondiert einerseits mit asiatischer, besonders japanischer Jugendhipness und andererseits mit dem Trend der letzten Jahre bei den 10 Hyères-Finalisten, zu denen Watura gehörte und wo Lebensfreude, Unbekümmertheit und Mut zu offensivem Farbenspiel favorisiert werden.