MBFW aw21 – weltanschaulich progressiv?

MBFW aw21 – weltanschaulich progressiv?

Berlin Fashionweek AW2021, Präsentationen im Internet

 

Text: Gerhard Paproth

 

Ein geradliniger Blick auf die Fashionweek Berlin AW2021 ist (noch) nicht möglich aber aus dem Vorfeld gerade darum sehr spannend:
Geschäftsmäßig ist ein großer Teil zur Messe nach Frankfurt gegangen, das focussiert vorteilhafterweise den Blick auf Inhalte und Ausdrucksformen.
Wenn man die Vorankündigungen, die die Neuausrichtung propagieren,  interpretiert,
– konzentriert sich die Gesamtidee inhaltlich nun auf zukunftsträchtige Materialien, soziologische Themen und neue Wege der Herstellungen (sowie Gespräche und Diskussionen darüber, die einen großen Teil des Programms ausmachen).
Ästhetisch dagegen bleibt alles noch unklar, zu mindestens im werbenden Vorfeld. Ästhetische Raffinesse und Geschmack scheinen, wenn man sie mal isoliert betrachten darf, keine eigene Rolle mehr zu spielen, sondern die Erscheinungsbilder folgen verstärkt ideologischen Vorstellungen – über das was man sieht, soll eine gesellschaftliche Positionierung vermittelt werden.

So verstanden trägt Mode, zu mindestens aus Berliner Perspektive, nicht mehr zur allgemeinen Geschmacksbildung und öffentlich ästhetischer Lust bei, sondern folgt entschieden der gesellschaftlichen Strömung, die weltanschauliche Perspektiven fordert. Damit definiert sich „Berliner Mode“ (oder vielleicht überhaupt deutsche) in einer deutlichen Abgrenzung zu Paris, Mailand oder London. Und entwickelt ein eigenes, neues Bild, insbesondere zu Luxus, das die Tradition radikal über den Haufen wirft.
Und auch ein oft ersehnter Anschluss an Berlins erfolgreiche 1920er Epoche wird konsequent negiert.

 

MBFW aw21 - weltanschaulich progressiv?

Formal, der Corona-Pandemie geschuldet, verlegt sich jede Präsentation ins digitale Netz, vorzugsweise via Instagram. Infolge dessen entsteht vielfach ein komplexer denkendes Format, das die klassischen Presseinfos eher überspringt um sich direkt ans Publikum zu wenden. Für uns bedeutet dies, dass wir keine eigenen Fotos mehr machen können und auf Vorgaben angewiesen sind. Das ist nicht nur für die Dokumentation selbst wichtig, der wir mit eigenen Bildern bisher eine eigene Prägung verleihen konnten, stattdessen müssen wir die redaktionellen Inhalte nun mit „Vorgaben“ illustrieren, beziehungsweise mit Links und vorwiegend Screenshots. Wir betrachten diese neuen Abhängigkeiten mit Sorge, wenn auch mit Verständnis, in der Hoffnung, dass das eine vorübergehende Lösung ist.
Denn gerade wenn Inhalte mit weltanschaulichen Prämissen verknüpft sind, ist eine Vorgabestrategie der Bildbeispiele nicht unproblematisch für freie Medien.

 

MBFW aw21 - weltanschaulich progressiv?

 

Aber auch allgemein wird man kritisch darüber nachdenken müssen, inwieweit die Verlegung der authentischen Mode-Erscheinungsbilder ins Digital-Mediale künftig Sinn machen kann. Mode wird am Körper getragen, dies ist Teil der Auffassung von Real-Modeschauen und Präsentationen per begehbarer Installation etc., und sie wird wesentlich im Lebensumfeld erlebt. Und letztlich nicht im abstrahierend werbenden Webseitenkontext. Mode versteht sich als Teil des Lebenskontexts und nicht als künstlich animiertes Ideal.
Insofern kann man sich digitale Modepräsentation kaum als dauerhaften Ersatz für die lebendige Anschauung vorstellen, es sei denn, man hat seine Erlebniswelt ohnehin schon grundsätzlich in Kategorien der Onlinebestellung ausgerichtet.

Es bleibt also abzuwarten, ob die soziologische Leitidee für Modegestaltung sich langfristig als grundlegendes Prinzip wird durchsetzen können, das wird der modebewusste Mensch in der realen Welt entscheiden. Und auch, ob die mediale Vermittlung an den potentiellen Konsumenten per Digitalkonzept im Internet eine ausreichende Vorlage ist.
Für die Ausnahme der Pandemie-Zeit ist letzteres überzeugend, wenn es aber einen prinzipiellen Wandel einläuten soll, darf man gespannt sein. Begrüßenswert ist jedenfalls, dass Berlin sich eine eigene Position in der Modewelt erarbeitet, das hat seiner Fashionweek bisher in vielerlei Hinsicht gefehlt. Und mit der Ausrichtung auf klimafreundlichen Wandel ist der gewissermaßen revolutionäre Zug im Selbstverständnis auch richtig. Doch wenn attraktive Schönheit, Lust und Freude auf der Strecke bleiben, wird’s mit allgemeiner Akzeptanz und der internationalen Konkurrenz schwierig.

MBFW aw21 - weltanschaulich progressiv?

Und noch etwas fällt im Vorfeld auf: Die Auflistungen der beteiligten Designer. Das Programm, zum Beispiel des Berliner Salons, zeigt eine Mixtur hauptsächlich aus längst etablierten Labels und einigen neuen Namen. Die etablierten dürften letztlich ein gewisses Kontinuum im angekündigten Wandel ausmachen, da sind ästhetische Kriterien noch zentral und klimafreundliches Tun ein selbstverständlicher Teil der täglichen Arbeit, ohne sich damit besonders hervortun zu wollen. Ob die neuen Namen das ideelle Konzept radikaler nach außen kehren, wird sich zeigen. Sonst bleibt es nämlich wie zuvor, wo hauptsächlich in der Neo.Fashion.-Abteilung mit den Hochschularbeiten die konzeptionellen Veranschaulichungen im Sinne der angekündigten Programmatik vorgeführt werden.

MBFW aw21 - weltanschaulich progressiv?

 

Bildquellen:

Vorschaubild: Gerhard Paproth zu “Starstyling – Fashion Positions 2020”,
alle anderen: Screenshots von den Veranstalterseiten im Internet