MBFW SS23 – Telegraphenamt
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Boris Marberg
Mit Laura Gerte präsentierte sich auf der großen Bühne der Modewoche in Berlin jemand, auf die zahlreiche Modebegeisterte in der Branche seit knapp zwei Jahren ihre Hoffnungen setzen. Seinerzeit fiel die Bachelor Studentin von der Weißensee Kunsthochschule Berlin bereits mit ihren Entwürfen auf.
Es sei der neue Berliner Look, in welchem sich auch die Mode der Nullerjahre wiederfinden würde, liest man zum Beispiel. Ja, die Kollektion, der Stil hat etwas von Post-Punk und New-Pop, ausgelassenem Spass in jedem Fall. Die Looks sind von zeichenhaften Bildpartikeln und wilden Silhouetten geprägt. Es entstehen bei der Designerin Schnitte, die mutige und schräge Flächenkompositionen ermöglichen und viele Richtungswechsel zusammen fügen. Durchlöchert sind die Looks ebenso wie zerfetzt. Wulstig wird in den Raum gegriffen, Bänder und Fetzen beleben die Konturen. Nachhaltig soll es sein und das soll man auch sehen. Denim prägt und fokussiert die Mode von Laura Gerte auf die Straßen der Großstadt und die Clubs der Stadt, in denen Multisex der neue Kristallisationspunkt der eigenen Identität ist. Rollen und Geschlechterzugehörigkeiten verschwimmen, humorvoll wird ihre Lebensfreude hervorgekehrt und Minderheiten wird eingeräumt, durch Diversität die zeitgenössische Deutungshoheit zu haben. Die Asymmetrien in den Looks spiegeln das zeichenhaft in dieser modischen Wahrnehmung wieder.
Laura Gerte vermittelt spielerisch und fundiert mutig, wie Neues entstehen kann, ohne die Wurzeln in nicht allzu Vergangenem zu ignorieren. Darüber hinaus liegt ein Verlangen in der Luft, sich ausdrücken zu können, ohne damit ästhetischen Normen verpflichtet zu sein. Der Mix aus vorgefundenen Alltagstrends, Fantasie und Schneiderkunst frappiert zuweilen, eine ostentative Provokation des Establishments findet sich damit aber ebenso wenig wie eine radikale Positionierung der Jungen Generation. Diese kann sich zwar in ihrer Eigendefinition der Geschlechtlichkeiten austoben, die ideologische Stellungnahme gegenüber der gesamten Gesellschaft wird zwar impliziert, im expliziten Sinne aber anders, politisch auf der Straße ausgetragen – so lässt sich Laura Gertes Kollektion als integratives Gestaltungsstatement verstehen: Fridays for Future um die Welt zu retten und Multisex für die Party im Club.
