39. Festival de Mode, de Photographie et d‘Accessoires de Mode, Hyères, Oktober 2024
Text & Bilder: Gerhard Paproth
Während die Kleidermode der 10 Wettbewerbsfinalisten sich wohl eher auf tragbare Streetwarekonzepte mit etwas Pfiff focussiert hat, erweisen sich die Wettbewerber für Accessoires oft mutiger zu Grenzüberschreitungen und interessanten Experimenten jenseits der Mainstreammanufakturen, abgesehen vielleicht von den „klassischeren“ Arbeiten für den Hermès-Wettbewerb, die dann aber auch diese Differenz deutlich machen.
Offenkundig verstärkt sich der Trend, besonders bei Taschen, den klassischen Formkanon radikal zu verlassen und entweder in skulpturalen, eigenständigen Gestalten zu experimentieren oder, fast noch radikaler, die Aufbewahrung an den Körper anzulegen und das in sehr offener und fantasievoller Weise. Das macht viel Spass anzuschauen und zu rätseln, wie das Objekt denn nun in der Praxis vorzustellen ist und wenn die Designerin oder ein Interessierter das dann vorführend anprobiert (siehe Beispiel Louna Clozel), sieht man, wie faszinierend der Gestaltungsgedanke wirklich ist. Entgegen der ersten Vermutung sind die „Taschen“ nämlich oft auch sehr praktisch gedacht und nicht nur gestalterische Verrücktheiten. Und immer wieder findet man Arbeiten von selbstbewußten Designerinnen, die sich darüber hinaus der erotischen Anspielung widmen, wie zum Beispiel Eunji Oh mit ihrer Kollektion Overweight.
Randbemerkung: Im Vorfeld des Festivals wird ein Modefotograf beauftragt, die Accessoires jeweils mit Model zu fotografieren, dieses Jahr half das für die praxisnahe Anschauung aber nicht besonders, weil die „künstlerisch“-bildnerische Leitidee des Fotografen stärker dominierte als das Thema Accessoire.
Auch beim Schmuck erweisen sich ungewöhnliche Einfälle und Witz in Kombination mit erstklassiger Verarbeitung als attraktives Faszinosum. Camille Cireddus Kollektion Is janas zum Beispiel mit den Fingern und roten Fingernägeln als vergnügter Verweis auf Greifen und die Erotik des roten Nagellacks oder, ganz anders, Maria Nava, die in ihrer vielseitigen Kollektion Spectral Objects zum Beispiel eine Jacke (und eine Kopfbedeckung) vorführt, mit abstehenden Chromstäben darauf, an deren Spitze blütenartige Blättchen angebracht sind, die sich sporadisch und mechanisch-elektrisch schließen und wieder öffnen. Das ist eine hinreißende Idee, wenn der bizarre Schmuck plötzlich auch noch ein Eigenleben demonstriert. Natürlich verfolgen nicht alle Schmuck- und Accessoires-Designer derart funktionsemanzipierende Ambitionen, gleichwohl tun sich damit schon neue Betrachtungsweisen auf, wie man Schmuck auch jenseits des Repräsentativen oder der verarbeitungstechnischen Raffinesse auffassen kann.
Erwähnenswert sind zudem noch die Brillen. Auch hier geht die Formgestaltung weg von klassischen Gestalten, die immer schon diversen Modeströmungen folgen, hin zu exentrischen Ausprägungen wie bei Chiyang Duan (The distorted Objects) und Maria Nava (Spectral Objects). Der Kollektionstitel Blooming of a face von Clara Besnard gibt das Konzept der Brillengestaltung allerdings schon wörtlich vor. Hier ist der Auftrag, besseres Sehen zu ermöglichen, auch schon weitgehend verlassen, die Brille als Gesichtsschmuck wird um ihrer eigenen Gestalt willen getragen und erlaubt sich exzessives Fantasiespiel, zum Teil ohne weitere Funktion. Besnards Halsschmuck, eine Mischung aus Halsband und Kravatte (eine Art Plastron), für den Prix Hermès zeigt daneben auch anderweitige, gezügeltere Fantasie und hat damit, überraschenderweise aber verdient, den 1. Preis gewonnen.
Und wie immer sind auch Designer vertreten, die aus rein praktischen Überlegungen innovative Gegenstände entwickeln und formschön umsetzen, wie die Kollektion für Wanderer und Camper von Lucien Vantey. Oder solche, die interessante Verarbeitungstechniken entwickelt haben, wie Julianne Cortois (Éclats) mit ihren hakeligen Verbindungen bei Schmuck.
Erstaunlicherweise – beziehungsweise zufälligerweise – sind dieses Jahr mehr als die Hälfte der zehn Laureats aus Frankreich. Manchmal waren in den letzten Jahren kaum oder gar keine Franzosen vertreten, sehr zum Leid darüber klagender, patriotischer Modefans; diese Lücke wurde dieses Jahr mehr als befriedigend geschlossen. Dem internationalen Publikum ist das allerdings völlig egal.
Frankreich
Les yeux plus grand que le ventre:
für Prix Hermès:
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Frankreich
Is janas:
für Prix Hermès:
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Mention speciale du jury:
Schweiz
Bivouac:
für Prix Hermès:
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Grand Prix du Jury Accessoires:
China
The distorted Objects:
für Prix Hermès:
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Prix Hermès des Accessoires de Mode:
Frankreich
Blooming of a face:
für Prix Hermès:
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Belgien
Overweight
für Prix Hermès:
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Frankreich
Éclats
für Prix Hermès:
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Frankreich
Mes yeux pensent toujours mal:
für Prix Hermès:
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Frankreich-Schweiz
La Vallée:
für Prix Hermès:
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Prix public de la ville d’Hyères:
Mexiko
Spectral Objects:
für Prix Hermès: