Zehn ungewöhnliche Accessoires-Kollektionen im Wettbewerb
Text und Bilder: Gerhard Paproth
Nicht immer verweisen innovative Accessoires nur auf ästhetische Trends, manchmal verweisen die Gestaltungsideen auch auf gesellschaftliche Visionen mit frappierendem Überraschungseffekt, der über den vordergründigen Gag hinausgeht. Gleich zwei Designerinnen (Sarah Levy und Noelia Morales) stellten den halben BH vor, einmal aus Leder und über der Kleidung zu tragen, einmal subtil-soft als Lingerie auf der Haut anzulegen. Beide Varianten erscheinen wie eine feministische Manifestation, die an kolportierte Amazonenbräuche erinnert und Sexyness eher aus Frauensicht formulieren als aus männlicher. Aber auch Eun-Song Joo oder Kexuan Li nutzen sexuelles Selbstbewusstsein mit ihren Handtaschen, die jenseits von plumper Anzüglichkeit elegant und zugleich pfiffig gestaltet sind.
Die offiziellen Präsentationsfotos der Accessoires der 10 Wettbewerbs-Finalisten von Jorge Perez Ortiz verbinden – quasi in einer vorgelagerten Ausstellung – nackte Menschen mit den betreffenden Accessoires, kultiviert und „ungeschminkt-natürlich“ arrangiert. Schon die erstmalige Beauftragung eines Fotografen, die Schau konzeptionell zu fotografieren, ist ein visuelles Staement, das allem einem ideellen Geist beifügt.
Unabhängig davon sind die meisten Gestaltungskonzepte von pfiffiger Innovationskraft geprägt und zugleich auch zeitgeistigen Stilismen verpflichtet. Die Schuhmode sieht sich großflächigen, groben Formen verpflichtet, sie kommen zum Teil als individuelle Skulpturen daher und haben manchmal auch austauschbare Elemente (Maria Nina Václavková). Der Gestaltung der Sohlen wie riesige Stempel wird besonderes Augenmerk gewidmet (Dorian Cayol & Quentin Barralon). Diese Aspekte hatten Rushemy Botter & Lisi Herrebrugh schon letztes Jahr einfallsreich demonstriert und mittlerweile weiter ausgebaut.
Opulenz in der Stoff(wieder)verwertung mit üppigen und schillernden Applikationen als Manifest der Gestaltungslust und handwerklicher Verspieltheit (Martial Charasse) kontrastiert mit puristisch hartem, glattem Leder (Mathilde Le Gagneur) und geometrischen Formen mit traditionellen, hochwertigen Materialverarbeitungstechniken (Wei Hung Chen & Raiheth Rawla). Ein Comeback der spiegelnden Sonnenbrillen verschafft Fanny Aigroz mit einer poppig-kantigen, bunten Gestaltung mit 50s-Retro-Flair, das Spass macht.
Letztlich fächern die Gestaltungsansätze ein großes Panoptikum von Perspektiven auf, was die Nominierung eines Wettbewerbssiegers a priori erschwert. Den Grand Prix du Jury Accessoires de mode Swarowski gewann Noelia Morales mit der Lingerie-Kollektion „Anna Bonny, The Mastectomy Patch“, den Prix Public – Ville d’Hyères erhielt Sarah Levy mit ihrer Lederwarenkollektion „Creatures of Habit“ und die Mention Spéciale du Jury d’Accessoires de Mode bekamen Dorian Cayol & Quentin Barralon mit der Schuhkollektion „Ò-pan6“.
Sara Levy (Belgien) – Creatures of Habit (Lederwaren-Kollektion):
Noelia Morales (Spanien) – Anna Bonny, The Mastectomy Patch (Lingerie-Kollektion):
Eun-Song Joo (Deutschland) – Eve (Lederwaren-Kollektion):
Kexuan Li (China) – Rhythm (Taschen- und Hüte-Kollektion):
Maria Nina Václavková (Tschechien) – OffCuts (Schuh-Kollektion):
Dorian Cayol & Quentin Barralon (Frankreich) – Ò-pan6 (Schuh-Kollektion):
Martial Charasse (Frankreich) – La ferme (Taschen-Kollektion):
Mathilde Le Gagneur (Frankreich) – [O] (Taschen-Kollektion):
Wei Hung Chen & Raiheth Rawla (Taiwan) – Khaore (Taschen-Kollektion):
Fanny Aigroz (Schweiz) – Spacing by the Pool (Brillen-Kollektion):
Rushemy Botter & Lisi Herrebrugh (Niederlande/Frankreich) – Schuhe (außer Konkurrenz):
Jorge Perez Ortiz – Fotografie der Kollektionen: