DZHUS – Intelligenz in Notzeiten

DZHUS – Intelligenz in Notzeiten

Fashionweek Berlin aw2023 – Kant Garagen

Text: Gerhard Paproth

Bilder: Andreas Hofrichter

 

DZHUS (Irina Dzhus) gehört zu den vier eingeladenen Designern beziehungsweise Designerinnen aus der Ukraine und wenn man diese Einladung über die solidarische Geste hinaus rezipert, stellt sich natürlich die Frage, ob die vorgestellte modische Leitidee die Besonderheit der Umstände auch reflektiert. Bei DZHUS ist das ganz offenkundig und sehr überzeugend der Fall.

Es handelt sich im Grunde um sehr raffinierte Funktionskleidung, weniger im Sinne von klimatischer Referenz als im Sinne der Nutzbarkeit und Vielgestaltigkeit. Letzteres führt die Schau in frappierender Weise vor: Das Modell läuft mit einer Kleidungsgestalt einmal den Laufsteg auf und ab, kurz vor Ende wartet die Designerin auf dem Laufsteg und beginnt dann, die Kleidung zu demontieren, umzustülpen, aufzubrechen in der Architektur und aus den Bestandteilen eine völlig neue Gestalt zu schaffen. Damit geht das Modell dann ein zweites Mal den Laufstegweg.

Der Soundtrack zur Schau suggeriert immer wieder Sirenenklänge, klagende Gesänge und chaotischen Krach, nicht simpel und klischeehaft, sondern als kompositorisches, elektronisch leicht modifiziertes, dissonantes Arrangement. Die Modelle tragen Verschmierungen in den Gesichtern, die mal durch Kapuzen oder Stoffmasken geschützt werden, mal frei und offen erscheinen. Ihre Kleidung “hängt” mehr am Körper als dass sie sich auf ihn bezieht, abgesehen von den primären funktionalen Standards wie Ärmel, Kopfbedeckung etc. Zwei Basics begründen die Funktionalität: erstens viele, viele Taschen, manche Outfits bestehen quasi aus der Aneinanderreihung großer und kleiner Taschen, zweitens viele, viele Reißverschlüsse zur Demontage und Montage des Zusammenhanges beziehungsweise der Zusammenhänge. Und das ist sehr komplex konzipiert, so dass der Träger oder die Trägerin schon gut Bescheid wissen muss, welche Zusammenhänge möglich und intendiert sind und wie man sie kombinierend herstellt. Zum Teil kann die Trägerin das gar nicht selbst am Körper modifizieren, die Kenntnis der Designerin, die hier die Transformationen auf dem Laufsteg vorgenommen hat – und zwar so, dass es auch passt und funktioniert – ist zentrale Voraussetzung. Sogar die großen Taschenkombinationen lassen sich manchmal auflösen in Flächen, genauso aufbauschende Elemente und geschichtete Ebenen. Es ist bei genauerem Hin- und Zusehen der Transformation schon recht vertrackt und man sieht auch gelegentlich, dass Reißverschlüsse sich manchmal sperrig aufführen. Die Funktionalität der Taschen bleibt eher der Fantasie überlassen, bei einem Beispiel zog die Designerin aus einer Tasche ein aufs Minimale zusammengelegtes Unterkleid heraus, feuchtigkeitsabweisend und eine weitere Ergänzung.

Sowohl der Leitgedanke der komplexen Transformation eines einzigen Kleidungsstückes als auch die schwierige Umsetzung in so vielen Details sind pfiffig und durchaus – in gewissem Maße – praktikabel. Alles scheint optimal aus- und durchgedacht und erprobt. Das Erscheinungsbild, so sehr die Sachen auch angehängt wirken, funktioniert auch, angesichts der Tatsache, dass Kleidung sich schon längst in vielen Designströmungen vom Körper emanzipiert hat und gestaltend oft eigene Wege geht, ist das keine Überraschung im Erscheinungsbild mehr. (De)konstruktivismus ist bei DZHUS keine ästhetische Fragestellung oder ein Antistatement sondern die Öffnung zu neuem, konstruktivem Denken der Gestaltung, durchaus auch im ästhetischen Sinn.

Natürlich ist die ästhetische Komponente hier auch noch der Tradition verhaftet, man könnte sagen gottseidank, denn der rein transformatorische Gedanke trüge einen entsprechenden Anspruch nicht. Weiß und verschieden Beigetöne schaffen, zum Teil in Kombination mit Schwarz, farblich sehr ansprechende Anmutungen, ähnlich Grau und Schwarz. Die silbernen Reißverschlüsse bilden ordnende Linien oder große Liniengeflechte auf und unter der Oberfläche und die zum Teil abenteuerlichen Ausformungen und flächigen Konstrukte folgen ebenfalls einem deutlich anspruchsvollen Gestaltungswillen in der plastischen Gesamtarchitektur. Und letztere ist eben nicht nur von Outfit zu Outfit verschieden, sondern auch in den jeweiligen Transformationen.

Insofern ist das DZHUS-Design ein wirklich innovativer Fortschritt in Hinsicht auf den Stand zeitgenössischen Designs, wenn auch aus besonderen Umständen heraus geboren. Die Kombination aus Ästhetik, Funktionalität, Gestalt und Materialwahl wurde weitgehend aus einer neuen Perspektive gedacht und überzeugend konzipiert. Wenn man so will, ist das ein Impuls für das westliche Modedesign, der sich durchaus konstruktiv verwerten und ausbauen läßt.

Erwähnenswert ist noch, dass DZHUS – inzwischen international aktiv und erfolgreich, mehrfach ökologisch preisgekrönt – seit Kriegsbeginn 30% seines Gewinns an ukrainische Tierrechtsorganisationen und die Armee spendet.

 

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

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DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

 

DZHUS - Intelligenz in Notzeiten

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