Uninhibited Island PT. 2 – Fashion Week Berlin aw2023 – Mindspace/FÜRST
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Boris Marberg
Mit viel spielerischer Hingabe präsentierten die Modell-Protagonisten für die Kollektion von Anima Protection ein Upcycling-Konzept, das auch mehr von Spass als von seriösem Statement geprägt war. Die Location, „La Vineria“, ein Penthouse im 11. Stock nahe dem Kurfürstendamm, war passend gewählt, eine kleine Lounge, auch Minirestaurant und Bar, wurde zu einem aufmerksam arrangierten Ambiente umfunktioniert, gedeckte Tischchen mit absurdem, minimalistischem Speisenaufgebot, Sessel daran, sodass man gar nicht wirklich hätte speisen können und zum Teil merkwürdig verschobenem Mobiliar. Das per Aufzug in sechs großen Schüben eintreffende, launige Publikum, vielsprachig (englisch, niederländisch, spanisch, deutsch), wurde von den aussergewöhnlich liebenswürdigen Gastgebern herzlich begrüßt – viele kannten sich untereinander und es schien, als ob dies eine Insider-Veranstaltung war, bei der man sich untereinander ausgesprochen wohl fühlte.
Die Schau war eigentlich eher eine Performance zu szene-gesellschaftlicher Interaktion mit integrierten kurzen Laufstegeinlagen, verbunden mit lockerer, unaufdringlich blubbernder Electromusik. Alle stark, schon etwas übertrieben und exzentrisch geschminkten Modelle posierten dann an verschiedenen Stellen im Raum, gespielt affektiert, agierten gelegentlich mit Stühle-Verrücken, Platztausch, verqueren Bewegungen, mimischer Exzentrik und beiläufiger Interaktion, alles nicht schlüssig oder erzählerisch aber doch unterhaltsam. Die Choreografie war zugleich klar ausgedacht und nur offen umrissen und etwas schauspielerische Lust war gefordert für die unkomplizierten Aufträge. Mit viel Hingabe und Überzeugungskraft inszenierten die Protagonisten das absurde Spiel und dies reflektierte letztlich auch das, worum es eigentlich ging, nämlich die Modeentwürfe, die sie trugen. (Uninhibited island Pt. 2, so der Titel der Kollektion. Lauryna Jankauskaite und Gintare Jankauskaite sind die Designerinnen.)
Die inhaltliche Offenheit des Absurden gibt der Gestaltung viel Raum, und wenn man das als Voraussetzung nimmt für ein Upcycling-Konzept, wie es hier vorgeführt wurde, entstehen erstaunliche Gebilde. Widersprüchliches, Unpassendes, Zufälliges, Beliebiges und Unerwartetes gerät aufeinander und zueinander und der Stil, in dem man das „moderiert“, also zusammenschneidert, gebiert Erstaunliches, manchmal Tragbares, manchmal fast Unmögliches. Das macht Spass, viel Spass, beim Anschauen, beim Vorführen und wahrscheinlich auch beim gestaltenden Machen. Das Vorgefundene prägt das Erscheinungsbild und seine Transformation in einen neuen Zusammenhang ist eine kreative Schöpfung, die zumindestens in der Kunst, aber wahrscheinlich auch hier, erst beim Machen geboren wird und nicht mit festem Plan. Dieser Transfer künstlerischen Arbeitsprinzips auf Modegestaltung führt aber zu demselben Resultat, nämlich dem Vergnügen an der Überraschung des Absurden. Gut gemacht, und das war es hier (auch handwerklich), führt das immer zu Staunen und zu sehr aufmerksamer Wahrnehmung.
Das gut gelaunte Publikum, vorwiegend so um 30 Jahre alt, hatte viel Spaß an der Aufführung und den präsentierten Outfits. Das Event hatte einerseits etwas von geschauspielertem Gesellschaftsleben, war aber andererseits eine Spiegelung des eigenen real anwesenden Szenelebens: die affektierten Poseure und die Handyvoyeure in ihrem Element und die Mode war so etwas wie ein tragendes Medium dabei.
Dass diese Generation dieses Spiel so liebt, ist eigentlich nichts, was früher anders gewesen wäre, es ist aber sehr pfiffig und ziemlich direkt, sein Modeschaffen so entschieden in diesen Kontext zu pflanzen. Und es ist darüber hinaus auch schön, dass Mode nicht erst Mode wird, wenn sie den entsprechenden Hype anvisiert, sondern sich mit einer Schau genau da ansiedelt, wo sie ideell zu Hause ist.