Berlin Fashion Week AW2024 – Pressecafé
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Das Label PLNGNS (Palingenesy) des Designers Mitya Hontarenko aus Kiev hat sich zuvor ausschließlich mit Schuhen beschäftigt und lanciert nun seine erste Total-Look Kollektion. Die Erweiterung bleibt schlüssig, denn Ästhetik und die Wiederverwendung von entsprechenden Materialien sind gleich geblieben.
Der Ansatz, gebrauchte Kleidung analytisch in kleine Elemente zu zerlegen und diese anschließend zu einer neuen Gestalt aufzubauen – das heißt zusammenzunähen – ist ein pfiffiges, aber auch aufwendiges Gestaltungsprinzip und emanzipiert sich, wenn es strategisch zielgerichtet genutzt wird, entschieden von dem Patchwork der Hippie-Ära. Es ist eher eine geplante Collage. Denn der Zufall spielt eher eine sehr nachgeordnete Rolle, umso mehr, als eine eigene Ästhetik des Erscheinungsbildes zu einem unverwechselbaren Style führt. Es versteht sich von selbst, dass jedes Teil ein Unikat ist und das mit umso aufwändigerer Schneiderarbeit, je kleiner die Einzelteile sind und je exzentrischer ihre Form ist. „Es ist Kunst, die man tragen kann“, sagt Mitya Hontarenko – zumindestens sind die Verfahren ihr entlehnt und der Aufwand tendiert zu Haute Couture.
Mit dem Verfahren entstehen aus alten Sneakern, Turnschuhen, Stiefeln und diversen gebrauchten Kleidungsstücken neue Schuhe, Jacken, Hosen und Caps – das ist das ökologische Prinzip und die gestalterische und handwerkliche Herausforderung, bei der schon mit Blick auf Details eine beeindruckende Faszination erzielt wird (siehe auch hier):
Entscheidender aber ist dann das Ganze, nämlich wie die Gesamterscheinung daher kommt, und die ist, wie gesagt, alles andere als beliebig. Grundlegend ist die allgemeine Ästhetik von (Turn-)schuhdesign, die sich im Laufe der letzten Jahre ausgeprägt und spezifiziert verselbständigt hat, bis hin zu Sammler- und Künstlerexemplaren. Unter modebewußten Konsumenten hat sie bekanntlich große Aufmerksamkeit und ein eigenes, sehr differenzierendes Stilverständnis etabliert. Mitya Hontarenko erweitert dieses bislang eher für sich agierende Genre auf einen Style für die Gesamtkleidung. Auch da, wo die Elemente ihre Herkunft nicht verraten, werden sie so zurechtgeschnitten und so ins Ganze eingefügt, dass die optische Referenz Schuh als Dekor sichtbar wird und sogar im Gesamtschnitt zumindestens eine Anlehnung daran erkennbar ist. Die Kollektion zeigt sehr verschieden gestaltete Erscheinungsbilder dieser Leitidee, abgesehen von den Sturmhauben, die vielleicht als Acessoire so etwas wie zusätzlichen Vollschutz symbolisieren.
Man kann diese Kollektion durchaus als ein Statement beziehungsweise Beitrag verstehen, wie das nachhaltige Upcycling-Verfahren zu ästhetisch anspruchsvoller und sehr zeitgemäßer Mode geführt werden kann. Hinzu kommt der Anspruch des Designers „Mir ist es wichtig, dass jedes Kleidungsstück anders und einzigartig ist.“ Inwieweit all das vom teuren, aufwändigen Unikat in industrielle Fertigung übertragen werden könnte, ist noch offen, der Auftrag an die Industrie, hier Lösungen zu finden, wird zunehmend dringlicher werden. Die Designer machen jedenfalls ihre Arbeit – und das inzwischen richtig gut.