Fashionweek Milano ss2023, Männer
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Links und Vorschaubilder der betreffenden, offiziellen Videoclips
Die von den Designern ersehnte Rückkehr zu Live-Veranstaltungen auf den Fashionweeks ist mittlerweile wieder vollständig vollzogen, geblieben sind die Möglichkeiten für jedermann/frau, sich die offiziellen Dokumentationen im Internet anzuschauen. Leider ist dafür die Rückkehr zu konventionellen Abfilmungen der Schau das Übliche und die Öffnung zu einem Darüberhinaus mit filmischen Mitteln weitgehend ignoriert.
Beispiele, wo Dokumentation, filmische Kunstgriffe und aussergewöhnliche Inszenierungen zu einem spannenden Video verschmelzen, sind auf dieser Fashionweek Milano eher die Ausnahme und eine solche ist dann eigentlich nur die schon live gefeierte Schau von Versace. Die übliche Strategie der Art-Fake-Deko findet in der Mode des Labels und in der Locationgestaltung noch und wieder eine faszinierende Aufbereitung und repräsentiert zugleich eine Zuspitzung des herkömmlichen Modeverständnisses mit schillernder Oberfläche und Verzicht auf zeitkritische Reflexe. Mode will einfach nur schön sein und Staunen hervorrufen, kulturgeschichtliche Zitate dienen lediglich einer Aufwertung des Stylings und der Wahrnehmung. In dieser Hinsicht war Versace immer pfiffig und konsequent. Die Relevanz des Ästhetischen für Lebensfreude und -qualität ist ja essentieller Bestandteil italienischer Kultur und damit ein Selbstverständnis, das anderen Ländern eher abgeht. Die filmische Doku der Schau konzipiert sich entsprechend auch aus dieser Position.
https://milanofashionweek.cameramoda.it/it/brand/11148
Innovative Aufnahmetechniken, die das einfache Abfilmen der Schau aufwerten sollen, sind allerdings selten reizvoll. Im Gegenteil, bei 1017 ALYX 9SM sind die Bilder nach jeder neuen Einstellung unscharf, bis die Drohne den Abstand erkennt und regelt – manchmal bleiben die Einstellungen sogar unangenehm unscharf, weil die Automatik es nicht geeignet hinbekommt. Dazu sausen überall Aufnahmegeräte durch’s Bild, aber die Zusammenschnitte bleiben dann doch wenig sensationell und eher enttäuschend.
Eine entschieden filmische Konzeption, die auch moderne Verarbeitungstechnik perfekt benutzt, ist die des Labels Plein Sport. Die exzentrische Ausrichtung der Mode auf zeitgenössische Science-Fiction ist perfekt in digitale Ästhetik gegossen und das Präsentationsmedium Filmclip kongenial genutzt:
https://milanofashionweek.cameramoda.it/it/brand/11156
Eine ganz gute und sehenswerte Lösung ist auch die von Revenant RV NT , die wir schon zur letzten Milano Fashionweek erwähnten. Originell und witzig bezieht sich das Konzept auf schlechte Werbung in einschlägigen Privat-TV-Sendern, filmisch sehr geschickt und unterhaltsam aufbereitet und ohne die betreffende Mode allzu ernst zu behandeln. „Très Shit“:
https://milanofashionweek.cameramoda.it/it/brand/11120
Wir erwähnten auch schon das Label Children of the Discordance, das ebenfalls einen speziellen Clip gebaut hat und versucht, eine Lifstyle-Charakteristik filmisch interessant vorzuführen. Die Idee der Liveshow bleibt erhalten, kann aber für den Film anders konzipiert werden. Auch das Label Santoni hat einen Clip gebaut, aber weil es wohl gar nicht für eine gute Idee gereicht hat, ist der dann auch nur 10 Sekunden lang.
Für über 50 teilnehmende Labels ist das Angebot an bemerkenswerten Videoclips schon sehr enttäuschend. Auch wenn man zugestehen muss, dass die Fashionweek eine exclusive Live-Veranstaltung ist und kein Clip-Festival im Netz, so läßt sich dennoch kritisieren, dass bei dem Aufwand und den Kosten fürs Exklusive das Interesse eines weiterreichenden künstlerischen Statements, das dann auch die eigene Kulturpositionierung stärkt, zumeist verschenkt wird. Die Hoffnung, dass der pandemiebedingte Wechsel ins Internet hier neue Massstäbe für die Zukunft zeitigt, muss wohl leider aufgegeben werden.