Berlin Fashion Week aw2019, Vollgutlager
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Die Hoermanseder-Schau war die als spannendste erwartete dieser Saison und sie hat, auf ihre Weise, die Erwartungen auch eingelöst. Gleichwohl wirft das, wenn dies nun der Gipfel jungen deutschen Modedesigns sein soll, viele Fragen auf. Auch unabhängig davon, dass das angebotene Schauenpanorama diese Saison eher klein war.
Eine Frage davon wäre, inwieweit die vorgestellte Mixtur aus vielen Gestaltungsansätzen einen Maßstab repräsentieren soll. Drei Hauptlinien glaubten wir ausmachen zu können, Club(Disco)-Glamour mit den poppig bunten, betont sexy angelegten Sachen, Streetwear mit den betont lässig und laut auftretenden Gestaltungen und das Experimental-Exotische mit den Korsagen und Lederriemen. Vieles davon mit ungewöhnlichen Materialien (z.B. Plüsch), Zutaten (z.B. Westernelemente) und Stilismen (z.B. Popart) angereichert und alles quasi gleichzeitig in den Raum gestellt. Ein Feuerwerk vielfältiger Ideen und Orientierungen, insofern sehr unterhaltsam, aber auch ein Verlust an Konzentration und Leitinteresse.
Nun ist Marina Hoermanseder schon ausbildungsmäßig auch Geschäftsfrau (Betriebswirtin), man kann davon ausgehen, dass sie für ihr junges Label Marktplätze sucht, die chancenreich sind und sich bewusst dort platziert, wo das mitgebrachte Image und ihre kreativen Entwürfe am Puls der Zeit auch funktionieren können. Ein Tanz auf verschiedenen geschmacklichen Hochzeiten, der eine klare Positionierung letztlich unmöglich macht. Und daran ändert auch die häufige Verwendung des Label(d.h. Designer)namens als Aufprint oder der Brand-Code „Gurt“ nichts, das sind nur noch äußere Klammern.
Die Aktivität auf banalen Alltagsterrains ist außerdem schwierig. Streetwear und Tanzclubszene sind eher nicht von gutem Geschmack geprägt – die Gestaltungsniederungen als Modeschöpfer hier zu umschiffen ist kein leichtes Unterfangen. Die FAZ beobachtet das sehr prägnant („… zeigt schon das Publikum, dass es von sexy bis vulgär nur ein kleiner Schnitt ist“) und diplomatisch. Marina Hoermanseder hat die Geschmacksakzente immerhin auf höheres Niveau gebracht, manchmal kann man allerdings auch darüber streiten.
Eine weitere Frage wäre, inwieweit die Kollektion eine Entwicklung nach vorne (und nicht nur in die Breite) aufzeigt. Die Radlerhosen (ganz am Anfang vorgeführt), 80er-Jahre-Disco, Western, Plüsch und Popart als großer, unbeschwerter und vor allem lauter Mix von allem Möglichen – ist das alles, was die nahe Zukunft ausmachen wird? Ist überhaupt Unbeschwertheit die nahe Zukunft gesellschaftlicher Befindlichkeit oder ist sie die Formulierung einer eskapistischen Sehnsucht, die uns betört und fängt? Diesen Leitgedanken bediente Marina Hoermanseder übrigens schon in der Schau vergangenen Sommer sehr konsequent. Er erinnert gelegentlich auch an die adoleszente Sehnsucht „Zurück zur Kindheit“ mit Barbiepink und Plüschteddy, einer Nostalgie, der junge Erwachsene heute unverblümter frönen als je zuvor.
„Anything goes“ als Berliner Motto ist sicher eine Befreiung von einschränkenden, überkommenen Ansprüchen und Verfahrensregeln und Marina Hoermanseder tut auch gut daran, sich als Zugezogene mit der Stadt und dieser Philosophie zu identifizieren, weil sie das innovative Potential und die Lebensart zu schätzen gelernt hat. Doch dieses Motto, naheliegende und ungewöhnliche Möglichkeiten improvisierend zu nutzen, ist in der Regel eher eine Initialzündung für neue Wege, die ihre Protagonisten dann aber nicht weiter erfolgreich fortsetzen. Abgesehen von wenigen Berliner Künstlern (z.B. Einstürzende Neubauten) haben nicht viele aus ihrer Innovation etwas Nachhaltiges geschaffen. So etwas wie einen Berliner Stil gibt es letztlich nicht und auch kaum renommierte Künstler, die das Berliner Anything Goes als Leitidee verkörpern – abgesehen von der Institution Berghain vielleicht. Im Übertragenen bleibt darum fragwürdig, ob das Hoermanseder-Konzept genug Substanz hat, sich weiterhin herausragend zu artikulieren.
Dabei war der Start mit den untragbaren BDSM/Orthopädie-Corsagen durchaus ein guter Ansatz, den Marina Hoermanseder – eher spielerisch – auf die eine und andere Weise noch geschickt weitergeführt hat. Und auch bei dieser Schau waren das die beeindruckenden Teile, obwohl sich dabei schon Wiederholungen fanden. Der Mut zum praktisch Untragbaren gebiert Faszinierendes und schafft ein Alleinstellungsmerkmal, aber es ist eben schwer, das in ein kommerzielles Projekt zu verwandeln. Der Riemenrock mit dem flexiblen Stoff im Hinterteil ist ein Kompromissversuch, der aber nur aus pragmatischer Sicht wirklich überzeugt. Das Ausweichen in andere Bereiche ist eher die einfachere Lösung.
Der vorwiegend hinreißende Gestaltungscharme, das Launige und die Darstellungskraft von Marina Hoermanseder verhindern gottseidank meistens ein Abdriften ihrer Entwürfe in alltägliche Gestaltungsbanalitäten. Deswegen war auch diese Schau als Erlebnisevent überhaupt nicht enttäuschend und löste viel Begeisterung aus. Und letztlich fanden ja auch die meisten „ihre“ Marina Hörmanseder in der Schau wieder. Aber als Kollektion, die einen avantgardistischen Leitgedanken in sich führt, ist diese keineswegs zu verstehen. Es gibt kein kompaktes, schlüssiges Konzept mehr, der künstlerische Leitgedanke ist wohl der kommerziellen Notwendigkeit geopfert. Es ist nicht mehr rund als Ganzes.
Man täte der Designerin Unrecht, die entstandenen Fragen als Vorwurf an sie zu richten und ihr mit dem schönen Erfolg die Verantwortung zu geben, Flagschiff des deutschen Modedesigns sein zu müssen (diesen Schuh würde sie sich vermutlich auch nicht anziehen wollen). Aber wenn man die Frage nach neuen deutschbasierten Modemachern stellt, die international eine gewichtige Position besetzen könnten, war diese Schau nicht die Antwort. Es war eine Modeveranstaltung, die Spaß gemacht hat, gute und sehr gute Sachen gezeigt hat und die in ihrer Offenheit gegenüber allen möglichen Gestaltungsaspekten viele optimistische und kreative Aha-Effekte erzeugen konnte. Und es war eine Kollektion, die, das war eben auch entscheidende Absicht, in großen Teilen tragbar war. Ein wenig Exzentrik war die Würze, der Name überall drauf die Identifikation. Genau das begeisterte viele.