Ukraine SS24 – drei Positionen

Ukraine SS24 – drei Positionen

Berlin Fashion Week SS2024 – verschiedene Orte

Bilder: Andreas Hofrichter

Text: Gerhard Paproth

 

Drei Designerinnen profitieren von der besonderen Ukraine-Unterstützung des Fashion Council Germany und zeigen erneut ihre Kollektionen auf der Berliner Fashionweek: Bobkova, Dzhus und Litkovska. Sie präsentieren an verschiedenen Orten und treten dabei auch nicht anders oder spezifischer auf als alle anderen.

Dabei scheint es nicht ganz so leicht zu sein, den Spagat zwischen dem eher innovativ geprägten Westen und der eher konservativ ausgerichteten Klientel in der Heimat zu bewerkstelligen. Während Dzhus bei ihren ungewöhnlichen, experimentellen Verwandlungs-Abenteuern bleibt, orientiert sich Bobkova eher an traditionellen, kommerziellen Leitideen, die lediglich mit ein paar kecken Ideen aufgefrischt sind. Litkovska erweitert und interpretiert die klassischen Standards in Schnitt und Architektur schon deutlich rasanter und experimenteller und positioniert ihre Kollektion kraftvoll und mit lässigerem, aufgeschlossenerem Auftritt. Immerhin, drei verschiedene Positionierungen von Modemacherinnen, die sich ihrer Herkunft verbunden fühlen und, selbst wenn sie schon eine Weile hier leben, in dieser Zugehörigkeit auch – mit Erwartungen – wahrgenommen werden. Eine modische Bereicherung aus dem Osten zeichnet sich dadurch noch nicht wirklich ab, eher stellen sie sich dazu.

Neu hinzugekommen ist das ukrainer Label Podyh, das haben wir bereits extra besprochen, nicht mehr dabei ist Jean Gritsfeldt.

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BOBKOVA im Garten des Kronprinzenpalais:

Bei Bobkova dominiert eine einfache Kombination aus zartbunten und dünnen Stoffen mit eher festeren, schlichten Materialien für klassische Jacken und Hosen oder Strick und Häkel, also eine Mischung aus Romantik und Business, manchmal auch als Zwischenkonzept. Keine nennenswerte Überraschung, höchstens ein paar hinzugefügte lockernde Akzente oder mal eine coole Sonnenbrille. Dabei gibt es hie und da ein paar Auffälligkeiten im Schnitt oder der Silhouette, aber grundsätzlich wird die bürgerliche Grenze der praktischen oder der ästhetischen Toleranz nicht berührt. Bequemlichkeit, Tragbarkeit, nur leichte Verschiebungen, folkloristische Anleihen und ein Touch weiblicher Grundromantik mit Natursehnsucht sind der Schlüssel für den lieber braven als ungewöhnlichen Stil. Diese Schau war vermutlich die konservativste Schau der Fashionweek, aber es ist gleichwohl unbestreitbar, dass auch eine westliche, eher in der Mitte der Gesellschaft angesiedelte Klientel sich durchaus von der klassischen Linie angezogen fühlt.

 

Ukraine SS24 - drei Positionen

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DZHUS in der The Feuerle Collection:

Das Grundprinzip der Verwandlungsfähigkeit ihrer Outfits hat Dzhus (Label seit 2010) beibehalten, dabei sind die praktischen Herausforderungen des Transfers anscheinend etwas kleiner geworden und der Effekt scheint oft schlüssiger. Bei den unbunten Farben Schwarz/Anthrazit und Weiß/Beige ist sie geblieben, denn der skulpturale Effekt ist das Wesentliche und es ist stets erstaunlich, zu welchen Lösungen ihre Experimente gelangen. Natürlich sind die Spielereien um integrative Kopfbedeckungen als Teil dieses skulpturalen Denkens noch vertreten aber die Oberflächen der verwendeten Textilien haben nun deutlich mehr optische Attraktivität.

Neben dem plastischen Gestalten ist die Transformation des Einen in ein völlig Anderes entscheidender Teil der Inszenierung, dekonstruierend und konstruierend, das ist der konstruktive Ansatz, das Statement zu stets möglichen Veränderungen. Wie nahezu alle Designer der Fashionweek verfolgt auch Irina Dzhus eine entschieden nachhaltige Linie und bemüht sich um Auflösung sexueller Zuordnungszwänge.
Verweise auf die Notsituation in der Ukraine sind in der Kollektion nicht offenkundig verankert (abgesehen von dem Schwarzmarkt-Umhang mit Luxusuhren), in der Inszenierung ist sie aber schon angedeutet mit den zunächst im Raum wie Wachsfiguren abgestellten, zum Teil etwas zerzaust wirkenden Models und durch den aktiven Verwandlungseingriff vor Ort durch die Künstlerin.

In jedem Fall hat Dzhus mit ihrem Verwandlungskonzept eine eigene, kreative und zunehmend überzeugende Gestaltungslinie gefunden, die man als eine Bereicherung für die ökologische und die konzept- und gestaltsuchende Gegenwart im westlichen Aufbruch verstehen kann.

 

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LITKOVSKA im Kraftwerk:

Im Gegensatz zu Bobkova nutzt Litkovska die Freiheiten westlicher Gestaltungsverfahren vergleichsweise ausgiebig um ein eigenes Bild zu finden. (De)konstruktivistische Bearbeitungen mit voluminösen Schichtungen führen zu Kombinationen geschlossener Bekleidung mit offener Lässigkeit und bringen recht kraftvolle, manchmal wuchtige Erscheinungsbilder hervor. Geschichtet: quasi innen gepanzert und aussen dynamisch, halboffen, fast offensiv. Düsteres Schwarz dominiert die Farbpalette. Mit den großzügigen Volumina werden die Frauenkörper visuell aufgerüstet und es ist offenkundig, dass das Empowerment der modernen Frau hier anders definiert wird als mit sexueller Befreiung durch den blanken Körper. Im Gegenteil, der ist vom Hals bis zu den Zehenspitzen hermetisch geschützt. In der Frühjahrs- Sommerkollektion. Es gibt, zugegeben, auch Ausnahmen in allen Aspekten, das ist aber doch das Resultat der meisten Gestaltungsexperimente. Führt man diese Wahrnehmung spekulativ noch etwas weiter, ließe sich durchaus ein Statement vermuten, wie eine Vorstellung der kraftvollen ukrainischen Frau in diesen Zeiten zu denken ist. Die übrigen Beobachtungen können das bestätigen: Die Modelle wirken ungeschminkt und eher alltäglich und herb, ihre Frisuren sind leicht zerzaust und der schwarz-rote Background weckt eher düstere Gefühle als sommerliche Frische und Lebensspass. Und nicht zuletzt ist das Kraftwerk dafür der passendere Ort als der Garten im Kronprinzenpalais.

In jedem Fall aber hat sich Litkovska zunehmend selbstbewusst aus ihren recht konventionellen Anfängen (vgl. unseren Bericht von 2019) gelöst, wo sie noch, eher auf trendbewußte Weise, Gegenwartsideen kopierte und erprobte und der ukrainischen Klientel damit etwas modische Frische ins Land brachte. Auch wenn sie diverse Verfahrensaspekte wie offene Nähte, geschichtete Architekturen, eingreifende Formbeschnitte und widersprechende Gestalt und -Materialmixe noch immer etwas klischeehaft einbaut, steht das nicht mehr im Zentrum der Gestaltphilosophie, sondern die kraftvolle Selbstermächtigung im Auftritt dominiert die Anschauung und findet einen eigenen Platz in der optischen Auslegung für ein weibliches Selbstbild.

 

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