36. Festival de Mode, de Photographie et d‘Accessoires de Mode, Hyères, Oktober 2021
Text und Bilder: Gerhard Paproth
Auf jedem Modefestival in Hyères präsentieren die Vorjahresgewinner des Grand Prix Première Vision die Arbeit, die infolge der weiteren professionellen Unterstützung realisiert werden konnte, in diesem Falle Tom van de Borght. In der Regel setzt der Designer seine stilistischen Experimente fort, nun aber mit der Maßgabe, auch kommerziell auf dem Markt bestehen zu können. Das ist, gerade bei so üppig kreativer Ausstattung und und völlig ungebundenen Arrangements wie bei van de Borght nicht gerade leicht, und auch die Materialwahl, die (besonders bei Upcycling und Materialcollagen) auf Unikate hinausläuft, muss anderen Herausforderungen genügen können. Kurz, eine der größten Schwierigkeiten besteht darin, eine serielle Herstellung anzupeilen, zumindestens aber sie mitzudenken, ohne den individuellen und in diesem Falle kompromisslosen Stil aufzugeben. Und selbst der kompromisslose Stil, der vielleicht auf einer solchen Schau besticht, ist deswegen noch lange nicht als Erscheinungsbild im Alltag denkbar.
Sich nur auf die Position von Haute Couture zurückzuziehen, dürfte leicht in eine Sackgasse führen, die das schnelle Ende der Karriere bedeuten kann.
Mit der vorgezeigten Kollektion wird deutlich, dass Tom van de Borght sich auf den Spagat eingelassen hat, auch wenn die industrielle Produktion sehr vieler Teile noch immer schwer vorstellbar ist. Nach wie vor recht nonkonformistisch repräsentiert die vorgestellte Arbeit das Interesse des Designers, neue Erscheinungsbilder von Luxus und Haute Couture zu erkunden beziehungsweise zu entwickeln.
Im letzten Jahr äußerte er darüber hinaus die soziale Komponente seines Anliegens: „Für mich geht Nachhaltigkeit über den Ökologie-Aspekt hinaus. Es gibt auch einen wichtigen sozialen Aspekt; wir müssen den Umgang miteinander als Menschen neu definieren und uns gegenseitig auf jede erdenkliche Art und Weise unterstützen. Wir müssen einen harmonischen Weg finden, miteinander und auch mit unserem Planeten zu leben.“ Die aktuelle Schau zeigt verschiedene Formen des Miteinanders besonders durch die Paarauftritte, es ist ein auffälliger Schwerpunkt. Manchmal kommt das mit etwas kindlich anmutender, simpler Zeichenhaftigkeit daher, erinnert gelegentlich auch an Victor & Rolf, manchmal witzig wie mit dem Hut für zwei, manchmal mit sich an zwei Personen ergänzenden Gestaltungen. Die pointierte Andeutung der gendergerechten Konzeption wird nicht nur in der geschmacklichen Stilistik sichtbar, sondern auch darin, dass die Herrenkollektion klassisch weibliche Elemente ganz selbstverständlich integriert. Und es wäre durchaus vorstellbar, alle männlichen Models durch weibliche auszutauschen, der Effekt wäre derselbe.
Angesichts der „Prächtigkeit“ des poppigen Gesamtbildes erscheint die Vorstellung, unser Alltag sei künftig so geprägt, schon noch sehr avantgardistisch, phantastisch, utopisch. Aber letztlich geht es bei der gesamten Festival-Veranstaltung gerade um diesen Aspekt, und wenn man dann mal in den Shop schaut (siehe Abbildung unten), stellt man plötzlich fest, dass diese Imagination so wirklichkeitsfremd auch wieder nicht ist. Mit ein wenig Mut zu Farbe, wenig Berührungsangst mit Bling-Bling und etwas Bereitschaft zu gesellschaftlicher Positionierung mit Bekleidung können diese Sachen in naher Zukunft unseren visuellen Alltag durchaus positiv auffrischen, ohne eine exotisch spinnerte Sonderrolle behalten zu müssen. Den darüber hinausreichenden Grad der Exzentrik kann man ja individuell bestimmen, der ideelle Zeitgeist bleibt stets sichtbar.
Tom van de Borght in der Ausstellung:
Tom van de Borght unter „Formers“ und im Shop: