Paris Fashionweek SS2020, Institut Suédois
Bilder und Text: Gerhard Paproth
Sehr jung, sehr hip und sehr optimistisch präsentieren die Schweden zum vierten Mal in ihrem Kulturzentrum eine recht breit gefächerte Vielfalt der Jahresabsolventen des Beckmans College of Design Stockholm. Dabei scheinen in einigen Kollektionen, subjektiv wahrgenommen, skandinavische Charakteristika durch, manchmal eine Neigung zu romantischer Introspektive, manchmal eine gewisse Bodenständigkeit mit zum Teil sehr schweren Stoffen, sehr kräftigen Schnitten und Kombinationen.
Aber das kam einem nur gelegentlich in den Sinn, gerade in Paris, und war als ästhetisches Konzept eher nicht bewusst herausgestellt. Besonders spannend wurden solche Ansätze bei Kollektionen wie der asiatischen von Fo Phan, wo der kulturelle Crossover eine faszinierende Synthese hervorbringt oder bei Sandra Saeidi, deren leichte Exzentrik sich zwischen Blümchen und aufgebauschtem Volumen bewegt.
Überhaupt ist die geschickte Raffung in allen Varianten wohl eine Spezialität der Schule.
Wie so oft, die studentischen Arbeiten waren insgesamt stilistisch inspirierter und damit spannender als kommerziell orientierte Designs. Auch hier machten die experimentellen Vergnügungen mit anspruchsvollem Verarbeitungsniveau Spaß und fütterten die Lust auf Neues. Zugegeben, es sind konzeptuelle Ansätze und erfahrungsgemäß sind die Zukunftsoptionen damit nur begrenzt einschätzbar. Manche ungewöhnlichen Stilpositionen werfen aber immerhin einen lustvolleren, optimistischeren Blick auf eine gedachte Zukunft als die Konzepte Berliner Schulen, die eher eine soziale Haltung (Correctness) programmatisch ausgestalten wollen.
Der Showroom fand sehr viel aufmerksames und sympathisierendes Publikum, was nicht nur dem Charme der Kollektionen zuzuschreiben war, sondern auch dem ihrer Macher und der Liebenswürdigkeit des Gastgebers. Der Präsentation der neun Absolventen (Fo Phan, Jon Allensten, Sofia Isdahl, Sandra Saeidi, Erik Olsson, Adam Swärd, Emma Wåhlin, Felicia Åström, Benedicte Eggesbø) haben sich auch zwei bereits etablierte Marken angeschlossen, Rave Review und Per Götesson.
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Benedicte Eggesbø (Yours Truely):
Die modernen Konstruktionen scheinen eng mit dem Alltagsumfeld der jungen Designerin aus Norwegen verbunden zu sein, darüber hinaus atmet der Style auch etwas Punkattitüde des leicht Abgerissenen. Die verfremdende Kollage von vorgefundenen Kleidungsstücken und Teilen zu einem neuen führt oft zu vergnügten und überraschenden Effekten und trägt zugleich mit der Wiederverwertung zu einem nachhaltigen Anspruch bei.
„Im Gestaltungsprozess bin ich sehr damit beschäftigt, mein Konzept durchzuspielen und zu diskutieren und so Lösungen an unvorhergesehenen Orten zu finden. Ich denke, es ist wichtig, es zu wagen, außerhalb der eigenen Komfortzone zu arbeiten, da dann interessante Dinge passieren.“(Interview Modeskolan STHLM)
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Fo Phan (Clothing in (Intimate) Mourning):
Mit dieser Abschlussarbeit aus diesem Jahr hat der Designer bereits Preise gewonnen, darunter einen vom Swedish Fashion Council. Das Traurige und Dunkle, die Schönheit des Verblassten und eine Hommage an die Trauer ist der gesuchte Ausdruck einerseits, die Verknüpfung der japanischen Ästhetik (in Bezug auf Traditionen des Ortes, wo Fo Phans Verwandten leben) mit ganz zeitgenössischen westlichen Design-Vorstellungen das eigentlich Faszinierende an den Arbeiten. Bilder aus einer Schau sieht man hier.
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Jon Allensten (My Inner Voice):
Nach eigener Auskunft hat Jon Allensten aus den Dresscodes der Geschäftswelt seine Gestaltungskonzept abgeleitet, aus Gesprächen mit befreundeten, erfolgreichen Businessleuten. Dies führte zu der Vorstellung, den Anzug als Schutzhülle zu betrachten und das anschließende Experiment, was optisch passiert, wenn die Schutzhülle aufreißt und eine geplante Karriere verwüstet wird.
Rüschen und florale Muster als grundlegende Gestaltungselemente treten hinzu.
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Sofia Isdahl (Clairvoyance):
„Hellsehen“ als Begriff für die Wahrnehmung über das Gegenwärtige hinaus befrachtet das Design im Vorfeld mit Sinnhaftigkeit. An der Gestalt der Teile der vorgestellten Kollektion ist das wenig nachvollziehbar, immerhin verweisen Tarot-Motive auf das Spiel mit der Vorhersehbarkeit von Zukunft, hier wohl eher der Designerin selbst, und sie waren damit gestalterischer Ausgangspunkt. Im extrovertierten Sinne betrachtet sind die Schnitte dagegen schlicht-elegant und emanzipieren sich angenehm von philosophisch vertrackten Implikationen.
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Adam Swärd (Mada):
Adam Swärd ist ein Trans-Modell mit einer eigenen Modevorstellung und demonstriert seine subtilen Modearbeiten entsprechend oft beispielhaft selbst. Eine kleine und durchaus überzeugende Transgenderkollektion also, die eher einen Leitgedanken beherbergt als eine gestaltungsästhetische Innovation.
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Sandra Saeidi (I Reach to Where the Sun Shines):
Auch Sandra Saeidi ist etwas träumerisch unterwegs mit ihren Entwürfen, gelangt dabei aber durchaus zu gestalterischen Phantasmen mit aufgelösten Oberflächen, flirrenden Farben und sich verselbständigenden Applikationen. Die Neigung zur Exzentrik hat bereits eine selbstbewusste Orientierung gefunden und reicht auch über das Modedesign hinaus zu Schmuck und weiteren spannenden Ergänzungen.
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Erik Olsson (Bojskaut):
Die Männer-Kollektion kommt schwergewichtig und sehr schützend daher. Im Zentrum steht das Leitinteresse an kommunikativer Kraft der Kleidung, die er aus seiner subkulturellen Peergroup ableitet und die er mit deutlich praktischer Funktionalität und Nachhaltigkeit verbindet. Die Nähe zu Arbeitskleidung für harte Männerberufe scheint dabei auf, stets kraftvoll und großzügig. Manche Teile waren so schwer, dass man sie kaum heben konnte.
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Emma Wåhlin (Self8 Love):
Es geht der Designerin um verschiedenen Persönlichkeiten eines Individuums. Wie man sich basierend auf emotionalen Bedingungen, sozialen Codes, Objekten und Kontexten präsentiert: Freiheit, Stärke, Verletzlichkeit und ihre Körperstellen. “Meine Experimente zielen darauf ab, eine freie, starke und verletzliche Liebe zum Ego zu erhellen. Das Recht, sich in der gewünschten Erscheinung darzustellen.” (Auszüge aus Selbstauskunft)
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Felicia Åström (Distorted Emotions):
Mit integrierten Verknüpfungen von Innen und Aussen, Auflösung der ebenen Oberfläche und geschickten Richtungswechseln sind die Arbeiten dieser Kollektion zugleich sehr experimentell und dennoch tragbar-körperbewusst. Die Varianten dieser Gestaltungsphilosophie sind sehr abwechslungsreich und gleichzeitig auch stiltypisch, sehr haptisch angelegt, emotional und körperlich.
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Rave Review:
Das schwedische Label, das sich den neun Absolventen für den Showroom angeschlossen hat, wurde 2017 von Josephine Bergqvist und Livia Schück gegründet und macht Kleidung aus recycelten Materialien. Der exklusive Herstellungsprozess produziert nur Einzelstücke. In den Erscheinungsbildern steckt eine Menge Hippie- und Raveästhetik, worin sich letztlich auch der Labelname begründet.
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Per Götesson
ist das andere Label, das hier vorgestellt wird. Per Götesson ist gebürtiger Schwede und jetzt in London ansässig. Genderübergreifende Gestaltung ist Teil des Programms, der Designer lässt sich vom Alltag gesehener Trends inspirieren, aus denen er einen schlichten Ansatz für funktionale Mode ableitet.