MBFW aw 22, Kraftwerk
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Das Credo des Schaffens von Rebekka Ruétz bleibt unverändert: alles ist möglich, die Gestaltung ist frei. Und: Gegensätzlichkeiten frappieren. Möglichst offensiv, respektlos, impulsiv und laut. Der Effekt des Unvereinbaren überrascht und dokumentiert eine gewisse Unverfrorenheit und damit auch Freiheit. Das ist das Potential, welches die Designerin ihrer weiblichen Fanschaft mit Mode anbietet. Diese Gestaltungsprämisse bietet unendliche Möglichkeiten des Vorgehens und der Akzentuierungen, insofern unterscheiden sich die Varianten von Saison zu Saison nicht im Prinzip.
Erwähnenswert zu dieser Schau sind vielleicht einige Spezifika, wie überdimensionierte Taschen aus gepolsterten Stoffen, die frau hinter sich herzieht, Farbpräferenzen wie Lila, oder Muster mit offenen Blicken hierhin und dorthin (Wildlife, Neon, Folk-Häkel, Farbverläufe etc.) wechseln beständig aber nichts bleibt verbindlich oder eine erkennbare Ausrichtung. Der folgende Auftritt zeigt schon wieder völlig anderes und Gegebenes kann gleich wieder gebrochen werden. Diese Freiheit des Wieder-Ganz-Anders nutzt Rebekka Ruétz nach wie vor konsequent und ist wesentliche Prägung ihres „Styles“, wenn der damit überhaupt noch als definierend sichtbar werden kann.
Darin liegt vielleicht ein eigentliches Problem, man kann einen Rebekka-Ruétz-Entwurf nicht unbedingt als solchen erkennen, höchstens als einen, der die Ruétzsche Gestaltungsphilosophie teilt. Zudem ist die eher ein zeitloses Ideal, das ist ethisch zwar gut aber erfährt als allgemeine Maxime eben auch keine Weiterentwicklung von Aspekten. Die große Offenheit konkretisiert sich nur im Beispielhaften und jede Schau besteht eher aus weiteren Beispielen offener Möglichkeiten.
Immerhin wird in dieser Schau auch eine Vorstellung gängigen Modelideals aufgelöst (Ethnie, Größe etc.), eher vorsichtig – ein weiterführender Aspekt, der sich durchaus noch ausbauen ließe.
„Rewritten Identity“ heißt die aktuelle Kollektion dennoch konkretisierend und zielt laut Pressemitteilung auf den „Wandel der Weiblichkeit“, also auf emanzipatorische Vorstellungen von Selbstvertauen, Stärke und Kraft der Weiblichkeit. Definiere dich selbst – „Be Your Own Muse“. Umschreibende oder ergänzende Parolen gehörten bei Ruétz auch immer dazu, explizit. Sie verkörpern aber keine innovativen Gedanken sondern sind quasi vertauschbar mit den bisherigen. Der Leitgedanke ist stark und immer aktuell, er wird nicht ausentwickelt sondern stets variiert. Mit Formeln und mit visuellen Gestaltungen.
Locker sitzende Kleidung, offensive Farben, asymmetrische Schnitte und Bequemlichkeit überhaupt sind Teil der Gestaltungsmaxime und auch hier verwirklicht. Die Österreicherin betont natürlich auch, wie man das ja muss, dass Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und die Einhaltung hoher Umweltstandards programmatisch im Schaffen sind, und dass in Deutschland produziert wird. Aber das ist selbstverständlich nicht ein Kriterium fürs Gestaltungsbild emanzipatorischen Auftritts.
