POSITIONS 2023 – Fashion zeigt die Schnittstellen

POSITIONS 2023 – Fashion zeigt die Schnittstellen

POSITIONS Kunstmesse 2023, Berlin Tempelhof

Text und Bilder: Gerhard Paproth

 

Die Positions Art Fair feierte dieses Jahr ihr 10. Jubiläum und das vierte Mal ist die „Fashion Positions“ angeschlossen. Anfänglich wurden die Modedesigner eingeladen, weil so viele Formate wegen Corona Shutdowns hatten, mittlerweile hat das Miteinander zu einer sehr spannenden Präsentation der künstlerischen Sicht von Modedesignern und -designerinnen gefunden.

Nicht zuletzt dank einer sehr ambitionierten Kuratierung von Esther Perbandt und Fiona Bennett dieses Jahr. Besonders die Vorzeigedesignerin Berlins, Esther Perbandt, erweist sich dafür als sehr kompetent, denn sie agiert selbst schon immer sehr gern in allen künstlerischen Gefilden der exzentrischen Stadt und erprobt die eigene Gestaltungslust stets auch jenseits der kommerziellen Interessen.
21 Modedesigner und -designerinnen waren eingeladen, ihre kunstaffinen Statements zu präsentieren und dabei die nachvollziehbaren Berührungspunkte mit freiem Kunstschaffen aufzudecken. Sehr viele Positionen wurden gut herausgearbeitet und auch durch jeweils einführende Texte interessant kommentiert (allerdings nur englisch).

Die Schnittstellen zwischen jungem Modedesign und freier Kunst finden sich auf sehr verschiedenen Ebenen und in unterschiedlichen Perspektiven, sei es da, wo die Lebensrealität das gestalterische Schaffen thematisiert (zum Beispiel Krieg bei Dzhus) oder auch da, wo Gestaltungsprozesse und innere Strukturen in der Bildenden Kunst, Architektur oder visuellen Medien dazu inspirieren, das eigene Vorgehen in der kreativen Textilgestaltung darauf zu beziehen (zum Beispiel Brachmann). Darüber hinaus gibt es viele weitere Schnittstellen, oft gerade da, wo Mode nicht nur eine ästhetische Aussage treffen will, sondern auch eine Aussage im Sinne des Zeitgeistes anstrebt, also sich als Botschafterin gesellschaftlicher Ideen versteht (zum Beispiel Jenny Haas).

Gesellschaftlich Position beziehen

Angesichts der vielfältigen Problemlagen unserer Gegenwart sieht sich Mode heute bemüßigt, auch mit Aussagen Positionen zu beziehen. Das hat mit gesellschaftlicher Kritik an dem schnellen und unökologischen Modegeschäft angefangen und reicht heute über Nachhaltigkeitsverpflichtungen und inzwischen auch Genderfragen weit hinaus. Gesellschaftliche Positionierungen werden via Mode auf den Konsumenten projiziert und umgekehrt wird von ihm auch offensichtlicher Positionierungswille erwartet. Entsprechende Slogans auf T-Shirts gedruckt machten den Anfang, inzwischen ist die ganze (junge) Modeindustrie mehr und mehr darauf ausgerichtet.

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Die Frage, warum nun die Modeindustrie sich in gesellschaftspolitische Debatten einmischt, kann auch damit beantwortet werden, dass schon die Mode-Studiengänge glauben, gesellschaftskritischer Stellungnahme im Studium großen Raum einrichten zu müssen. Und natürlich setzt dies sich in der zeitgemäßen Forderung fort, alles gesellschaftliche Tun auch moralisch und soziokulturell zu positionieren – eben auch in der Modegestaltung.
Damit wird Modemachen gewissermassen politisiert: Die gesuchte Zeitgeistigkeit kreativen Modegestaltens wird nicht mehr nur über rein ästhetische Idealismen formuliert, sondern zunehmend mit kommentierenden, konkreten Begriffen bzw. Schlagworten leicht verständlich aufgefüllt (oder sogar ersetzt). Damur ist ein gutes Beispiel dafür. Das kann auch der mitgelieferte Begriff „nachhaltig“ sein. Ob so allerdings Mode tatsächlich mit Sinnstiftung oder Bedeutung aufgefüllt wird, was ihrem eigentlichen Wesen ja widerspricht, bleibt vorerst dahingestellt. Zunächst ist es wohl eher eine Verschiebung der Codes, eine (ersehnte) Transzendenz der Erscheinungsbilder ergibt sich daraus eben nur scheinbar. Aber genau die soll Mode in die Nähe von Kunst rücken.

Die Infragestellung ästhetischer Relevanz

Reines Art pour Art hat im Kontext der jungen Modeszene eigentlich nicht mehr viel zu suchen und insofern beschleunigt das natürlich auch die abnehmende Relevanz ästhetischer Maßstäbe im Sinne dessen, ob etwas einfach nur hinreißend aussieht, besonders elegant daherkommt oder vielleicht ein pfiffiger Streich in Sachen Sexyness ist. Solche Kriterien sind mehr oder weniger außer Kraft gesetzt beziehungsweise dürfen oft nur noch am Rande der Chicness der Schlagworte ihre Wirkung hinzufügen.

Aber das  Problem der Aufgabenverortung im gesellschaftlichen Leben stellt sich nicht allein in der Mode, die vorher vorwiegend sinnlich mit Geschmacksargumenten arbeiten musste.  Auch die Bildende Kunst riskiert es, teilweise die Bedeutung ästhetischer Wahrnehmung einzubüßen, wenn sie beispielsweise Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Feminismus, Krieg, Klima- und Naturkatastrophen als Spiegel gegenwärtiger Lebensrealitäten und der heutigen Zeit zugrunde legt oder über den Schöpfungsprozess stülpt. Kurz: es geht in der jungen Mode (und oft in der Kunst) momentan nicht darum, die Welt schöner zu machen, sondern besser. Inwieweit diese Art Chic erfolgversprechend ist, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist es in der Zusammenschau eine neue und bemerkenswerte Schnittstelle, wenn auch nicht die einzige.

Digitalisierung und andere Schnittstellen

Gleichzeitig spielt die durchdringende Digitalisierung eine nicht zu unterschätzende Rolle in allen künstlerischen Bereichen, sowohl in angewandten Verfahrensprozessen als auch als Thema. Blicke auf die Zukunft und digitale Innovationen tauchen als Faszinosum und Experimentierfeld auf und auch hier – zumindestens in der Mode – müssen ästhetische Belange erst einmal zurückstehen. Immerhin sind die Erwartungen ästhetischer Erfahrung an Bildende Kunst dabei noch vergleichsweise hoch gesteckt.

Andere Schnittstellen, wie zum Beispiel das Skulpturale oder auch die Zeichnung, folgen ganz klassischen Gestaltungsmotivationen. Das sind oft sehr spannende Auseinandersetzungen, sinnlich, prozessual und manchmal nur auf rein formaler Ebene. In Sachen Konnotation verhält es sich umgekehrt: Symbolische Aussagemomente der Bildenden Kunst werden leicht als (scheinbar ausreichende) künstlerische Aussagemittel für sich genommen und damit oft von Designern abflachend mißverstanden und inflationär eingesetzt, um Sinnstiftung zu demonstrieren. Man findet leider mehrere Beispiele dafür in der Ausstellung.

Fragwürdiges Kunstverständnis

Was die Nutzung medialer Präsentation betrifft, droht die Vergleichbarkeit zwischen Kunst und Mode ebenso schnell fragwürdig zu werden. Die reine Übernahme eines künstlerischen Mediums macht die Darstellung noch nicht zu Kunst. War die Installation einst ein Medium der Bildenden Kunst – mit der Einführung des realen Raumes -, gilt sie hier per se als künstlerisch. Es bleibt aber durchaus offen, ob eine Installation mit Modeelementen, Fotos und symbolischen Objekten schon eine kunstidentische Darstellung ist. Diese Unterstellung erweist sich an vielen Stellen als besonders problematisch.

Es ist ein großer Verdienst der Kuratorinnen, eine breitere Palette abzubilden, als diese kritisch beschriebenen Aspekte – wie die nachfolgenden Erkundungen im Einzelnen deutlich machen. Leider zeigt das kleine Begleitheft zur Positions die Komplexität der künstlerischen Modepositionierungen nicht sehr kompetent auf. Hier gibt es statt der Allgemeinplätze noch Ergänzungsbedarf bei den künftigen Fashion Positions. Ein sympathisches Interview mit Danny Reinke ist da wenig stellvertretend für den inhaltlichen beziehungsweise künstlerischen Anspruch der Sektion, der ja durchaus vielschichtig ist und mit vielen tollen Beispielen auch überzeugt.

Die ausstellenden Modedesigner

BRACHMANN: Zeichnungen von den Capsule Collections „Cube“ and „Skins„.

Die Designerin Jennifer Brachmann hat außer Mode auch Architektur studiert und ist dem Bereich nach wie vor sehr verbunden. Sie sieht ihr Modedesign als gleichberechtigte Kunstform wie Architektur, Industriedesign oder Malerei ganz im Sinne der Bauhausphilosophie und entsprechend legt sie ihre Gestaltungskunst an und aus. Nicht die Trennung der Eigenheiten sondern den Zusammenhang mit den anderen Fachbereichen will sie aufdecken und so sind die aktuellen Zeichnungen mit der Durchdringung von Mode und Architektur grundlegendes Statement ihres Verständnisses und auch ihres gestalterischen Vorgehens. Sie sieht Architektur und Kleidung als jeweils eine Haut des Menschen, in der er lebt und die ihre Gestaltung ihm zueignet.

Bauhaus-Minimalismus prägt noch immer ihr Credo und die Grundlage ihrer puristischen Eleganz.

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KAREN JESSEN: „Liquid Bloom 2023„. Installation, Skulptur, tragbare Kleidung, neu erfundene Häkeltischdecke.

Handwerkskunst prägt die Arbeit der Designerin grundlegend und die Lust an skulpturaler Kreation führt sie ebenso in abstrakte Dimensionen wie Bildhauerei. Dabei entwickeln die subtilen Material-Gespinste in ihrer Leichtigkeit bewegte und anmutige Formen, die sowohl wie digitale Träumereien sich in und durch den Raum bewegen als auch (als tragbare Kleidung) den menschlichen Körper umschmeicheln können.
Karen Jessens Mode besteht aus Upcycling, hier verwandelte Tischdecken-Elemente.

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CRUBA: „Trash on Snow„, 2023. Videoinstallation. Holz, Papier, Bio Zellulose.

Mira von der Osten überführt den Modeprint auf Stoff in eine mediale Vision, wo aufprojizierte, bewegte und wechselnde Elemente die Oberfläche zu träumerischem Leben verwandeln. Chaotisch auftauchende und verschwindende Trash- und Körper-Fragmente („auf schwarzem Schnee“) suggerieren kreative Erscheinungsverwandlungen auf und in der Oberfläche des Textils.

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DAMUR: „77 lucky charms for 77 people„. Schuhe, Pflanzen, Textilien.

Shih-Sun Huang liegt neben der inclusiven Einebnung von sexuellen, kulturellen und auch modespezifischen Unterschieden die weitestgehende Gleichstellung von Allem am Herzen – insofern sind auch Kunst und Mode für ihn keine verschiedenen Aktionsfelder. Ästhetische Kategorien hält er für längst überholte Perspektiven:  ideele Statements prägen als Symbole die Essenz aller Erscheinungen. Der Formulierung dieser Wahrnehmung gilt sein gestalterisches Interesse, auch in der Mode. In seiner Installation stehen die Schuhe als Träger des öffentlich Erlebten am Tage und die Zimmerpflanzen für  häusliches Leben, alles fügt sich irgendwie zu einem offenen Tableau des (Er-)Lebens.

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DANNY REINKE x MANUELA KARIN KRAUT:Lustgarden“ 2023.

Danny Reinke entnimmt gelegentlich aus der Bildenden Kunst Motivelemente für seine Musterprints. Größere Nähe zu Gegenwartskunst hatte seine Kollektionsschau auf der Fashionweek ss23 Berlin: Hier gab er der Künstlerin Manuela Karin Knaut kooperative Gelegenheit für eine Live-Performance, wo sie ein Recycling-Brautkleid auf dem Laufsteg bemalte. Die Installation verweist aber auch auf den starken Naturbezug, mit dem seine Modekollektionen entstehen.

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DEAD WHITE MEN’S CLOTHES: „DWMC No. 267 – No. 287„, 2023. Installation.

Jojo Gronostay hat Ghanaesische Wurzeln und lebt und arbeitet in Wien. Sein Label ist ein Kunstprojekt und Modemarke zugleich und beschäftigt sich mit den Mechanismen interkulturellen, -ökonomischen und -politischen Austausches. Indem er ausrangierte Kleidung aus dem Westen auf Ghanaesischen Märkten aufkauft, neu manipuliert und auf dem westlichen Modemarkt verkauft, kehrt er das Dominanzgefüge um.
Die Videoinstallation zeigt ein Fußballspiel, aufgenommen in seiner Heimat Accra und die Tricots der Spieler sind mit Überdrucken hin- und hermanipulierte Spielkleidung europäischer Clubs. Die Wechselbeziehung von Kleidung als Ausdruck einer Machtkonstellation dominanter Kultur zu einer aneignenden wird hier im politisch-künstlerischen Sinne hinterfragt und neu formuliert.

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DZHUS: „Thesaurus„, Collection 2023.

Irina Dzhus ist Ukrainerin und ging mit Kriegsausbruch in den Westen. Der Krieg hat in der Selbstreflexion eine Neubewertung tradierter Selbstverständlichkeiten ausgelöst und die Grundlagen der Modegestaltung neu und ganz anders positioniert. Nicht nur die inzwischen berühmte Multifunktionalität ihrer Kleidungsstücke rückt ihre Arbeit in den Bereich Konzept-Art, sondern auch die skulpturale und manchmal quasi dialektische Ästhetik sowie das Referentielle der Materialien.

Thematisch geht es Dzhus auch um Gender-Dresscodes, die sie auflösen und durch einen egal-archetypischen ersetzen will; dem folgt auch die ästhetische Klarheit, welche auch die originellen und verspielt-witzigen Einfälle dominiert.

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ESTHER PERBANDT: „curse and blessing„, 2-teilige Installation mit künstlichem Haar und Schuhen auf Holzblock.

Die fragile Kopfputzkonstruktion aus schwarzem Kunsthaar schwebt frei in der Höhe und die mit goldenen Nägeln auf einem schweren Holzblock befestigten Schuhe drücken auf den Boden. Der freie Raum dazwischen steht für die Lücke zwischen Utopie und Realität. Perbandt versteht sich als visionäre Performerin und Künstlerin, wobei ihre Mode, die sie oft in installativen Arrangements präsentiert (zuletzt auf der Fashinweek Berlin ss 2024), als ein Teil der ästhetischen Konstrukte verstanden werden soll.

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FADE OUT LABEL: „You Wear What You Are„, 2023. Upcycled Jeans, Macro Pailletten aus Tomatendosen, Wegwerfmaterialien

Das Victoria&Albert Museum beschreibt in einer Publikation Andrea Bonfinis Label als die innovativste  Patchwork-Marke der Gegenwartsmode und seine Arbeiten finden sich auch in diversen Kunstgalerien. Die rein abstrahierende Präsentation der mosaikförmlich zusammengefügten Denim-Stofffelder entwickelt eine selbständige formalästhetische Qualität, die auf Kleidungsstücke übertragen wird, so dass quasi getragene Kunst daraus wird. Hinzu tritt die Eigenschaft des gelebten und symbolischen Charakters (Rock-Rebellion) des Jeansstoffes, die die Objekte auflädt.

Inspiriert ist die Arbeit von der Dada-Künstlerin Elsa von Freytag Loringhoven (1874-1924) , die unter anderem Wegwerfkunst als Bekleidung entwarf.

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FIONA BENNETT: „Two Souls. One Hat„. 2023. Filz, Stroh, Seide, Papier.
Tales of a Travelling Milliner, Chapter 3, Justine Lauefer.

Die Hutmacherin Fiona Bennett versteht ihre Kopfbedeckungen auch als symbolische Objekte (Stichwort „unter einen Hut bringen“) und in dieser interaktiven Installation sollen sich zwei Menschen unter einem Hut verbinden. Gemeinsam mit Justine Lauefer, Fotografin, entwickelt Bennett Visualisierungen von Begegnungen, bei denen Kopfbedeckungen dann die Rolle eines „Storytelling“ einnehmen. Mit der symbolischen Funktion von Kleidung und der interaktiven Präsentation in diesem Sinne repräsentiert der Sinn von Mode aus dieser Sicht eine übergeordnete, quasiphilosophische Ebene. Mit den dadaähnlichen Fotocollagen werden weitere Bezüge zu Kunst angedeutet.

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THE OTHER GODS: „Gaia – an Ode to Earth’s Spirit„. 2022/23. Leinen Wolle, Baumwolle, Pailetten.

Einen mobilen Tempel als Ode an Mutter Erde und Natur, mit Aura und Evokation höheren Bewußtseins, haben die Textilkünstler Lena Voutta und Thoas Lindner gefertigt. Das handwerkliche Gebilde aus textilem Baumaterial, das eher behausende Kleidung assoziiert, und sein archetypisches Raumkonstrukt verbinden hier im spirituellen Leitmotiv Mode und Kunst.

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ISABELLA RUDZKI

Isabella Rudzki gehört zu den wenigen Kunstschaffenden, die sich gerne in allen medialen Ausdrucksformen bewegen und Mode und Schmuck gehören wie selbstverständlich auch dazu. Der Mensch und sein Körper stehen im Zentrum der Ideen, die physische Nonkonformität des Individuums und die Sensibilität der Mensch-Welt-Beziehungen sind Gegenstand ihrer umfassenden Auseinandersetzungen. Dem Körper, als Behausung von Geist und Seele verstehend, sind Normen, Gleichberechtigung, Lebensumstände, soziale Beziehungen und zeitgenössische Bilder davon inhärent – nicht zuletzt die existenziellen Grundlagen und Erfahrungen der Gegenwart. Mythen  aus der Vergangenheit interessieren Rudzki auch, denn die kreisten schon um dasselbe.

Mode und Schmuck für den Körper können als eine Facette, sich mit der Wesenheit Mensch zu beschäftigen, verstanden werden und dann liegt hier die Schnittstelle mit Bildender Kunst in demselben Leitinteresse.

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JENNY HAAS: „Be Lilith Not Eve„. 2023. Materialmix.

Jenny Haas‚ Label gibt es seit diesem Jahr und sie sieht sich damit inhaltlich sozialen Fragen und besonders dem Feminismus stark verpflichtet. Gleichzeitig testet sie die Grenzen zwischen künstlerischer Botschaft und tragbarer Mode und diese Installation mit Elementen ihrer Master-Kollektion will davon Zeugnis ablegen. Mit einer etwas eigen ausgelegten Vorstellung vom Lilithmythos aus der talmudischen Überlieferung (Adams erste Frau, geheimnisvoll, verführerisch und zugleich unheildrohend), führt die Jungdesignerin in einer erzählerischen, ideell geprägten Material-, Objekt- und Bildcollage mit symbolischem Brautkleid angesagte Slogans („be xxx!“, „My dress is not a Yes!“) vor, die Frauen aufrufen sollen, ihr Selbstbild vom Patriarchat zu befreien und emanzipiert neu zu bestimmen. Damit liegt frau ja immer richtig. Die kreative Vielseitigkeit gestalterischer und handwerklicher Darstellungsformen kann hier als junger, künstlerischer Impuls verstanden werden.

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Vera KOCHUBEY: „Magicians Dream„. 2023, Installation.

Im Kontrast zum Grau ihres Heimatlandes (geboren in der UdSSR) findet Vera Kochubey eine künstlerische Alternative mit farbenfrohen, lebensbejahenden Motiven, die der Pop-Art der 80er Jahre entspringen und bei ihr als Gemälde oder Prints sowohl auf Leinwand als auch auf Kleidung  und Objekten erscheinen. Camp in Reinform und wie er Spass macht und ähnlich wie man ihn zum Beispiel auch bei dem Berliner Künstler Kiddy Citny findet.

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LAURA OBST: „A Game of Dualities“. 2023, Steinpaste, Bauschaum, Karton, Lack.

Mit ihren Modeentwürfen (Material ist vorzugsweise gebrauchtes Leder) sucht die junge Master-Aspirantin von der Kunsthochschule Berlin Weißensse ihre Verbundenheit mit der Natur auszudrücken. Die Rauheit und Strukturen von Stein und die Grandiosität von Bergen sind besonders kraftvolle Motive, die sowohl die Oberflächen wie die skulpturalen Formen ihrer Darstellungen beziehungsweise Entwürfe prägen und die als gestalterisches Kraftfeld sowohl für sich stehen als auch in bildhauerisch geprägter, abstrakt-modischer Stoffkonstruktion formuliert werden.

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PUGNAT: „Unstrickbar & Pieces – autumn/winter 23/24„, 2023. Zeichnung auf Papier, handgestricktes Kaschmir.

Antja Pugnat entwickelt beim Stricken genau wie beim Zeichnen Gebilde, die während des Tuns entstehen. Ab einem bestimmten Punkt notiert sie die experimentellen Stichkombinationen ähnlich wie ein Komponist seine entstehende Musik.
Den Prozess des Zeichnens und den des Strickens versteht sie als gleich.

Gleichwohl geht die Zeichnung mit ihren gestischen Möglichkeiten und ihrer frei-autonomen Linie über die Grenzen einer gestrickten Konstruktion hinaus. Die hier gezeigte Arbeit bezeichnet Pugnat entsprechend als „unstrickbare“ Entwürfe.

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SIRÉE SOLAN: „Asphyxia„, 2020. Gips, Alginat, Stoff, Schaufensterfigur.

Die Installation illustriert Darstellungen aus Dantes „Göttlicher Komödie“. Mode, Theater und Skulptur werden hier medial verknüpft, um ein künstlerisches Idealwerk der italienischen Frührenaissance zu versinnbildlichen und in die Moderne zu transferieren. Die Kleidung erhebt sich aus den rettungsuchenden Händen des höllischen Infernos und wird zu einem skulpturalen Gebilde (Vergil), das über sich hinaus wächst und damit eine höhere Authenzität erreicht. Die Kleidungsentwürfe transzendieren die kulturelle Erfahrung und das Erleben ihres Lebenswegs, wie die Designerin selbst erklärt.

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STEFAN UHR: „Babiosch Bojka – Uhraufführung“ 2023. Installation. Organisches Popeline auf Leinwand, Holz, Bügel, Bluse, Kleid, bestickter Holzrahmen.

Stefan Uhr studierte Kunstgeschichte vor Modedesign, das repräsentiert seine vielseitigen künstlerischen Interessen – Popkultur, Mode, moderne Kunst. Babiosch Bojka (schlesisch) bezeichnet laut Ausstellungstext „das Märchen über den femininen Mann“. Uhr reflektiert damit Genderproblematiken und indem er seine Kleiderentwürfe von geschlechtsspezifischen Models befreit, stellt er sie nicht nur frei, sondern heftet sie auf eine Leinwand, um die ästhetische Aura an sich zu zeigen, ohne geschlechtlichen Bezug. Doch damit nicht genug, das Weitere ist viel spannender.

Uhr beläßt die Präsentation nicht nur als „Kunstbild“ sondern formt das aufgeheftete Objekt prägnant neu und gestaltet die Untergrundfläche wie das aufgetragene, abstrakte Blusenmuster. Dekoration und Malerisches kommen damit zur Deckungsgleichheit, das ist der eine Aspekt, der andere stellt den skulpturalen Reiz des (plastisch ausgeformten) Kleidungsobjektes gegenüber der Fläche heraus. Es erscheint wie ein Wahrnehmungsspiel zwischen Malerei, Plastik und Modekleidung.

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THE HUMAN TOUCH (Juliet Seger): „Installation„. 2023. Textilfarbe auf Baumwolle, Polyesterfaden, synthetische Knöpfe, Metallbügel, Nägel und Nadeln, Nähmaschine, Hohlblöcke, Digitaldruck auf Karton.

Die Labelgründerin Juliet Seger beschäftigt sich mit menschlicher Arbeit bei der Herstellung von Kleidung und dem aktuellen Einfluss, den der digitale Wandel moderner Industrie auf die Produktion hat. Sie versteht Nähtechnologie als eine soziale Technologie, die den „Human Touch“ vermittelt. Mit „Paint-Sewing“, also „malendes Nähen“, bei dem die in Farbe getauchten Finger beim Arbeiten Spuren auf dem Objekt hinterlassen (und auch auf der Maschine), macht sie das Handwerkliche sichtbar und  drei der Hemdfragmente an der Wand zeigen dies, bei dem vierten, weißen, bleiben die Fingerspuren (ohne Farbe) unsichtbar.  Ähnlichkeiten der drei Erscheinungsbilder kennzeichnen die Massenproduktion. Die komplette Fertigstellung eines Hemdes ist nur von Hand möglich, ein Exemplar wird auch gezeigt.

Das scheinbar Aleatorische der Farbspuren verselbständigt sich zu einer ästhetischen Anmutung, die nur durch den handwerklichen Prozess entstehen kann und denselben damit gewissermaßen adelt. Erst die Kenntnis dieses demonstrativen Verfahrens enthüllt die didaktische Botschaft dahinter.

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INGRATO: „Babel: The Lockdown Collection„. 2023. Wolle, Metall, Steine, Video.

Sebastián Plaza Kutzbach alias Ingrato ist ein Textilartist aus Chile, der sich von der Aussagekraft symbolischer Darstellung angezogen fühlt. Die Installation zeigt Elemente seiner während des Lockdowns gezeigten Babylon Fashion Show: ein mit dem Jokerkartenmotiv versehener Sweater auf einem Metallgerüst, drei gestrickte Teufelsmasken sowie ein Videoscreen dazwischen, auf dem die Show gezeigt wird. Während der Lockdown allgemein eher für Chaos, Gefangenschaft und Entwurzelung steht, sieht Ingrato diesen unter dem Aspekt „Babylon“ ins Positive gewendet, nämlich als Fähigkeit zu Inspiration, Anpassung und Improvisation – also als Essenz kreativen und künstlerischen Tuns.

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VICTORIA ROST: „Object Oriented„. Kollektion 2022. Neue Wolle, Schaum.

Die Modedesignerin beschäftigt sich mit reinen Formen und der Frage, ab wann diese als Kleidung tragbar sind. Also der Unterscheidung von (Skulptur-)Objekt und Kleidung. Welchen Effekt hat die Auflösung der entsprechenden Grenzen? Mit neuen Formen, Funktionen und Volumen werden Kleidung neue Parameter der Wahrnehmung zugeteilt, die sich eher auf der Ebene des Künstlerisch-Abstrakten vollzieht und Fashiondesign ästhetisch neu und rein formalistisch befragt.

Dies rettet 100 Jahre alte Basisüberlegungen in die Gegenwart, denn es knüpft an Oskar Schlemmers ähnlich gedachtes Bauhausballett an, auch die Modeabteilung des bauhauses und die russischen Konstruktivisten der 1920er Jahre konzipierten Modeentwürfe vergleichbar.

POSITIONS 2023 – Fashion zeigt die Schnittstellen

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Das Konzept von Victoria Rost und der Bezug zum Beispiel zu den russischen Konstruktivisten (z.B. Ljubow Popowa und Warwara Stepanowa) zeigt auch, dass Mode und Kunst nicht zum ersten Mal Schnittstellen ausloten und nutzen. Der Gedanke hat seitdem unter anderen mit Yves Saint Laurent, Jil Sander oder Stella McCartney eine Fortsetzung gefunden, zumindestens in den formalen Zugriffen. Und auch Überlegungen zu funktionalen und industriellen Perspektiven sind nicht ganz neu, wenn auch diese früher eher industrie-fortschrittlich ausgerichtet waren, was heute zu Recht ganz gegensätzlich infrage gestellt wird. Gesellschaftlich revolutionär waren sie immerhin auch, schon insofern, als die Identität von Kunst und Design behauptet und gelebt wurde, sogar als soziales Konstrukt (welches dann allerdings im Gang der Geschichte scheiterte). Dieser Ansatz liegt vielen Designern offenbar wieder sehr am Herzen.

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Aus der Sektion Positions, umgekehrte Bezugnahmen

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Liegestuhl-Installation des Veranstalters (interaktiv):

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