POSITIONS 2020 – Fashion goes Art Fair

POSITIONS 2020 – Fashion goes Art Fair

POSITIONS Kunstmesse Berlin Tempelhof, Herbst 2020

 

Text und Bilder: Gerhard Paproth

 

Es ist vielleicht müßig, hier prinzipiell über die Nähe oder Verschiedenheit von Fashiondesign zu Bildender Kunst zu diskutieren, weil man die Einbindung von Modedesignern aus Berlin in die jährliche, dieses Jahr bereits verschobene Kunstmesse POSITIONS im Prinzip als einen solidarischen Akt verstehen kann, denn auch die wesentlichen Fashionveranstaltungen in Berlin sind alle ersatzlos ausgefallen und das hat eine schmerzliche Lücke offenbart. Das Experiment ist insofern gelungen, als sein Konzept klug angelegt ist. In den Messehallen besetzen 20 ausgesuchte Modedesigner Expositionsplätze im hinteren, abschließenden Hallenabschnitt, die alle versuchen, mit der Präsentation ihres jeweiligen Modekonzeptes eine erkennbare Verbindung zum freien künstlerischen Arbeitsprozess sichtbar zu machen und damit die Anbindung schlüssig erscheinen zu lassen.

Dies geschieht mit recht unterschiedlicher Pointierung, Michael Sontag zum Beispiel stellt nur Bildwerke aus, Litichevskaya dagegen reproduziert die schablonierten Prints der Kleidung noch einmal auf den Stellwandhintergrund als dekoratives Pseudobild.

 

 

 

 

Michael Sontag:

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Litichevskaya:

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Doch der Zusammenschluss ist so selbstredend nicht. Das Designerteam Starstyling hat da offenbar Zweifel und provoziert schon mit eigenen T-Shirt-Beschriftungen “KUNST MODE SCHEISSE” gegenüber dem Anliegen des Ganzen und weiter mit denkwürdigen Fragen und Bildkombis auf großem Videoschirm. Sie sind aber die einzigen, die sich selbst mit der Hinterfragung der Herausforderung präsentieren.
Grundsätzlich stehen die gezeigten Modeentwürfe nie für sich selbst, denn der Entwurfsprozess ist immer Thema. Damit sind die Modedesigner letztlich transparenter als die meisten Bildenden Künstler, die davon ausgehen, dass ihre Arbeiten das Anliegen von selbst erschließen. Aber auch die Modedesigner müssen oft zusätzlich noch erklären, sonst bleiben ihre Exponate rätselhaft. Von Tra My Nguyen erfährt man zum Beispiel, dass die Kleidung aus einer ursprünglichen Motorradabdeckung entstanden ist. Die hat sie zerschnitten und die Teile als Kleidungsstücke hergerichtet. Die ursprünglichen, vorgefundenen Stoffmuster hat sie in den Computer geladen, vermischt, manipuliert und zu einem neuen, eigenen Muster transferiert. Mit einem speziellen Printverfahren hat sie Stoffe neu gestaltet und dann Kleider daraus genäht. Die Ergebnisse wirken für sich zunächst zwar etwas fade, aber mit der Kenntnis der kreativen Transformprozesse lädt die Rezeption sich neu auf – und bei der Anschauung auf den gezeigten Videobildern mit der Kleidung am menschlichen Körper bekommen die Stücke eine eigene Klasse.

Starstyling:

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Tra My Nguyen:

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Etwas unkomplizierter wird die Verbindung von Modedesign zu Bildender Kunst da, wo der Designer gleichzeitig selbst geschaffene Bilder und Kleidung präsentiert, das eine quasi das andere reflektiert und mit anderem Medium fortsetzt. Das haben viele so gemacht. Ein weiteres gelungenes Beispiel findet sich bei Fiona Bennett, die ihre Hüte gleichsam optisch in eine luftige und originelle zeichnerische Anmutung integriert.

Fiona Bennett:

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Brachmann hat zusammen mit einer Fotografin ein Projekt vorgestellt, mit Franziska Stünkel. Deren Fotos zeigen Transparenzen und Spiegelungen als geschichtete Verbindung bzw. Überlagerung mehrerer Realitätsausschnitte in einer identischen Erscheinung. Parallel hat Brachman ihre Bekleidung als Schichtung mehrerer Flächengestaltungen angelegt und versucht damit, Kleidung als Synthese differenter Elemente in die Wahrnehmung zu bringen.

Brachmann und Franziska Stünkel: POSITIONS 2020 - Fashion goes Art Fair

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Manchmal wirken die Inspirationen der Gestaltung etwas einfacher, das legt jedenfalls die symbolbefrachtete Präsentation nahe. So der klassische Naturbezug bei dem Schmuckatelier Elle Pé oder bei Annitian.

Atelier Elle PéPOSITIONS 2020 - Fashion goes Art Fair

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Annitian:

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Konkret Bezug auf die gegenwärtige politische und gesellschaftliche Situation nimmt Cruba. Fragen aus Gesprächen, die als solche stehen bleiben, werden als Text belassen (z.B. “I do not understand”) oder die Ratlosigkeit in Zeichen transferiert und der Wust der Verwirrung als großes grafisches Bild oder Muster auf Kleidung geprintet.

Cruba:

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Damur ist jetzt auf die Frage des Überflusses und die Idee des Kleiderrecyclings gestoßen. “Wieviele Hosen hast du?” fragt er die Besucher und an einer Pinwand sollen sie ihre Zahl zu den vielen anderen hinzufügen. Mit dem Recycling von Kleidungsstücken thematisiert er für sein Konzept nun das Unikat, ein ganz neuer Aspekt. In Sachen Reflex auf zeitgenössische Haltungen ist er stets dicht an den ideologischen bzw. soziologischen Trends, die er mit seinen völlig darauf ausgerichteten Konzepten nicht nur zu spiegeln sondern auch zu verstärken sucht.

Damur:

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Esther Perbandt im Gegensatz dazu verfolgt weiter experimentell ihre gestalterische Leitidee, die fast ausschließlich in Schwarz navigiert und dem Monochromen stets neue Reize und Gestaltungsverfahren abzugewinnen sucht. Mit einem Plotterverfahren entwickelt sie gerade Oberflächenapplikationen, die sowohl auf Papier und vergleichbaren Gründen ihr Eigenleben entfalten, als auch auf Kleidungsstücken. Insgesamt ist ihre Kollektion wesentlich eleganter im klassischen Sinne geworden, die Schnitte und Formen sind nicht mehr so crazy. Bei Schmuck leben schlicht und skulptural nebeneinander.

Esther Perbandt:

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Lou de Bétoly ist ein Klassiker des Berliner experimentellen Fashiondesigns (angefangen und berühmt geworden mit Augustin Téboul), ihre konzeptuellen Handarbeiten zeigt sie als eigenständigen, handgemachten Textilentwurf wie ein Bild und als manuellen Eingriff und Brechung in ein asymmetrisches Kleid bzw. mit definierenden Applikationen.

Lou de BétolyPOSITIONS 2020 - Fashion goes Art Fair

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Auch die Designerin von Pugnat hat zu konzeptueller Handarbeit gewechselt. Sie kommt von der industriellen Strickfertigung und versteht diese rückblickend als ein flächiges Gestaltungsprinzip. Mit dem Stricken von Hand geht sie nun dazu über, skulpturale Formen zu erproben und damit dieser Handwerkstradition eine spezifische Option abzugewinnen. Damit wird dem menschlichen Körper ein neuer, selbst wirkender Körper hinzugefügt.

Pugnat:

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Trippen ist ein Designertrio, das auf Schuhdesign spezialisiert ist. Besondere Gestalt bekommen die Sohlen, die sich erst richtig sichtbar als Spuren hinter dem Besitzer manifestieren. Wie Stempel, die bei der täglichen Bewegung des Trägers Bilder hinterlassen, wenn auch ephemer.

Trippen:

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Wanda Wasabi sind zwei asiatische Designerinnen, die sich ebenfalls auf Kleiderrecycling focussieren, allerdings ästhetischer und kulturspezifischer geprägt. Second Hand Kleidung ist in Japan eher eine verachtete Domäne, und das betrifft besonders Kimonos und andere klassische Kleidung. Die wird nur von einem Besitzer getragen und findet keinen Nachfolger. Bei den oft sehr aufwändig hergestellten Stücken ist das eine Schande. Wanda Wasabi schlagen nun mit ausgemusterten Kimonos eine Brücke in die Moderne, indem sie diese zu aktuellerer Kleidungsgestalt komplett umarbeiten und damit das Edle vergangener Kleidung und deren tradierte Muster in die Gegenwart einbinden.

Wanda Wasabi:

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Einen kombinierten Abschnitt mit sechs Nachwuchsdesignern belegt “Fashion Positions Academy by Berliner Sparkasse”. Es handelt sich um prämierte Abschlusskollektionen von Studenten, die jeweils einer thematischen beziehungsweise experimentellen Leitidee folgen:

Dennis von Eichmann (Vast & Arid) bezieht die Gestaltungsästhetik seiner queeren Kollektion auf Wüstenlandschft und ihre atmosphärischen (besonders farblichen) Besonderheiten. Babette Bacherle und Tristan Wippermann (Des Kaisers neue Kleider) behandeln jeweils das Thema der mysteriösen Nacktheit des Mannes und der”toxischen Maskulinität”. Bei Laura Gerthe (8 Friends From The Gym Meet For A Picnic) werden plastische Ausformungen erprobt, die Integration von Mustern und die Manipulation des vorgefundenen Textils mit dem Anspruch, die Möglichkeiten so weit zu treiben wie es geht. Corina Erhard (Beyond Black and White – Farbe bekennen) sucht eine politische Haltung über Modegestaltung zu suggerieren, das Aufbegehren mit demonstrativer Power in Bezug auf sexuellen Missbrauch. Helena Stölting (Femoid) geht es um die Zwischenzone weiblicher Attraktivität und dem Ekel im verdrängten körperlichen Frausein (Menstruation etc.), deren natürliche Daseinsberechtigung sie offen legen will.

Dennis von Eichmann (Vast & Arid):

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Babette Bacherle und Tristan Wippermann (Des Kaisers neue Kleider):

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Laura Gerthe (8 Friends From The Gym Meet For A Picnic):

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Corina Erhard (Beyond Black and White – Farbe bekennen):

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Helena Stölting (Femoid):

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Insgesamt ist die Einbindung des Fashionsegmentes in die POSITION Kunstmesse ein sehr gelungenes Experiment, denn es wird deutlich gemacht, dass Modedesign in Berlin in der Prozesshaftigkeit seiner Konzeptionen durchaus einen Anspruch hat, der über klischierte Modeflachheit weit hinaus geht. Und die Abschlussarbeiten der (Ex)Studentinnen belegen darüber hinaus, dass das Modestudium gesellschaftliche Reflexion fordert, um die Gestaltung substantiell zu machen. Dies einem kunstaffinen Publikum nahe zu bringen, ist durchaus ein Verdienst, wie überhaupt die gesamte Messe sich auch konzeptuell über die bloße Standvermietung hinaus engagiert. Angesichts der Problematik, dies auch in Zeiten der akuten Pandemie überzeugend zu realisieren, ist es erwähnenswert, dass die Vorsichts- und Achtsamkeitsmassnahmen auf strengste und vorbildlich berücksichtigt sind und auch kontrolliert werden.

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