Berlin Fashion Week SS2024 – Flussbad
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Auf den Donnerschlag letzte Saison folgte nun das radikale Gegenkonzept: eine eher entspannte Gartenparty. Die rasante Schau in der düsteren, lauten und monströsen Techno-Höhle mit offensivem, subkulturellem „Berlin“- Konzept hatte ein Zeichen gesetzt, das weitere Erwartungen ausrichtete. Aber Olivia Ballard setzte nicht auf diese Schiene sondern ließ elfenhafte Gestalten durch den großen Garten gleiten.
Ganz so entspannt ließ das Konzept die Stimmung aber nicht verharren, das Défilé wurde begleitet von härteren Techno-Beats und sogar von einem kleinen Live-Konzert der New Yorker Postpunk-Ladies-Band cumgirl8 unterbrochen. Die vier Musikerinnen traten auch als Models auf, damit war die ungewöhnliche Liaison zwischen Punk und den zarten Feen zumindest optisch hergestellt und als modephilosophisches Statement fixiert.
Die Looks selbst setzten, wie schon zuvor, sehr oft auf Reduktion, besonders in den Schnitten, aber auch in der Präsentation von viel Haut und weiblicher Gestalt mit Transparenz und Offenheit. Dynamische Schrägen mit One-Shoulder-Kreationen, Knitterstoffen, Faltenwürfen und Verknotungen machten die Erscheinungsbilder lebendig und auch abwechslungsreich in den Ideen und im gestalterischen Vorgehen. Die Kollektion gibt sich etwas skulpturaler als zuvor, damit gewinnen die Stücke an Eigenqualität. Der Körper – als sexy Erscheinungsbild an sich – ist stets Ausgangspunkt und Thema der auf- und umgelegten Bekleidung, die Leben und Individualität herausstellen und erotische Präsenz unterstreichen soll. Alle Stücke sind und bleiben demzufolge auch Unikate und das Handgemachte bleibt, konzeptgerecht, sichtbar. Trotz gelegentlicher Schichtungen und komplexerer Schnittideen, zum Beispiel bei den Hosen, setzt Ballard aber nur begrenzt auf Raffinesse oder Eleganz. Lediglich die verknoteten und verwobenen Stoffstreifen zu höchst spannenden Oberflächen und Strukturen ergeben faszinierende Konstruktionen, die sich radikal von den schlichten Transparenzgewändern absetzen und ein schillerndes Eigenleben entwickeln. Aber Olivia Ballard sieht das alles ganzheitlich, wie schon das Schauenkonzept an sich, und darin liegt nicht nur eine Irritation, sondern ein ziemlich beeindruckend gelungener Spagat. Damit manifestiert die Schau auch einen reizvollen Ausblick auf eine Schaffensorientierung, die zunehmende Klarheit und Entschiedenheit im Gestaltenkanon bieten wird und neue Massstäbe setzt.
Besonders aber die Besinnung auf den Körper und seine attraktive Schönheit als Ausgangspunkt und Zentrum der Bekleidung, lange negiert mit formalem Konstruktivismus und Dekonstruktivismus, ist für die Humanität der Mode ein großer Rückgewinn, um so mehr, als nun auch Individualität, Selbstbewußtsein und sexuelle Selbstverortung eine große Rolle dabei spielen.