Obectra – Resurrection

Obectra – Resurrection

Berlin Fashion Week AW2025 – Theater im Delphi

Anmerkungen zur Clubmode

Text: Gerhard Paproth

Bilder: Andreas Hofrichter

 

Obectra ist ein typisches Berliner Label, insofern, als dass es sich konkret auf den energiegeladenen Lifestyle seiner Clubszene beruft, kulturell nur dort und zielgenau mit dieser eigenen Philosophie. Inwieweit Berliner Clubkultur mit ihren Regeln (beziehungsweise ihrer Regelbefreiung) und Erweiterungen des Erlebens nun international für die Modeszene eine gewisse Rolle spielen könnte, bleibt abzuwarten, aber als modisches Statement jenseits von High Class und Haute Couture hat es attraktives Charisma, und das nicht zuletzt wegen der sexuellen Implikationen. Wir verstehen die betreffende Mode als Avantgarde. In Berlin spielen diese Regeln und Regelbefreiungen für die junge Generation eine erhebliche philosophische Rolle, und anders als in anderen gesellschaftlichen Bereichen sind Genderfragen und Gendercorrectness hier eingebettet und verständlicher Bestandteil in einem wirklich schlüssigen Zusammenhang. In der Berliner Clubkultur findet, zumindestens im Selbstverständnis, die wirkliche Avantgarde statt, der nächste Schritt gesellschaftlichen Fortschritts. Man kann das als spinnert-überzogen bezweifeln, aber immerhin haben im Laufe der Kulturgeschichte mehrere avantgardistische Bewegungen aus Berlin bemerkenswerte Spuren in der Kulturgeschichte hinterlassen, zumindestens in der künstlerischen.

Das muss man verstehen, wenn man Kollektionen wie Obectra als wesentliche Modemarkierungen verstehen will – und letztlich tut das Fashion Council gut daran, eher darauf zu setzen als auf Kunkurrenz im internationalen Mainstream der Fashionbewegung *.

Dementsprechend hat bei Obectra die sexuelle Komponente (natürlich offen und damit immer genderfähig) einen zentralen Anteil und in der Folge den direktesten Körperbezug, der denkbar ist. Vorhandene Tattoos unterstützen das. Riemen, Schnallen, Leder und Metall, zu Zeigendes und in der Bedeckung Verlockendes, Körpergestaltendes und -definierendes, Mystisches und Sehnsüchte und spielerische Prägungen aus BDSM und Fetischliebhaberei bilden das gestalterische Feld. Und das alles, immerhin ein neuer Aspekt, nicht nur auf Idealgestalten bezogen, sondern für Jedermann, Jedefrau, Jedenzwischenton muss etwas dabei sein oder gültig sein. Die Kompabilität ist also das eine, eine damit zu verknüpfende ästhetische Position das Spannende. In dieser Hinsicht ist die „Mode“-Bewegung noch nicht wirklich zu freier Entfaltung gekommen, aber das darf man noch erwarten. Man erinnere sich, wie rudimentär Techno als Musik-Bewegung angefangen hat und seinerzeit total unterschätzt wurde. Inzwischen geht in der zeitgenössischen Musik fast nichts mehr ohne diesen Ansatz.

Die Kollektion von Obectra führt genau das vor, was man als State of the Art in dieser Hinsicht verstehen kann. Sie ist darüber hinaus sehr einfallsreich und kreativ bis in die Details und bietet deutlich mehr, als man in den Clubs sehen kann, ohne sich von der Leitidee zu entfernen oder abzuheben. Die Schau war mit schätzungsweise über vierhundert Fans echt gut gefragt – und niemand sonst hat vorher etwas von Obectra gewußt. Viele andere Designer oder Designerinnen haben schon zuvor erfolgreich die Berliner Clubkultur und ihre Philosophie als Basis für Modebilder genommen, Richert Beil und besonders Namilia sind wohl geläufige Beispiele. Andere scheitern mit zu dünn angelegten Konzepten auf die Dauer, so wohl Ballard und viele andere angemaßte Designer. Der aktuelle Stand dieser Modebewegung ist noch offen, die Zukunft wird wie immer Spreu vom Weizen trennen, Obectra zeigt immerhin nicht nur die weltanschaulichen sondern auch aufscheinende ästhetische Konzepte. Und gerade daran und an innovativen Erfindungen wird sich zeigen, wer die erste Runde überlebt und wer im internationalen Modegefüge eine Stimme bekommen kann.

Aber, und auch daran sollte man denken: Die Szene denkt charakteristischerweise für den Gegenwartsaugenblick und nicht an morgen. Der momentane Spass entscheidet und bildet den momentanen Markt. Die frühe Technoszene hat auch nicht darüber nachgedacht, wohin sie sich in Zukunft entwickeln will, sie hatte den Moment gelebt. Und sich dann trotzdem weiter entwickelt und höchst konstruktiv überlebt.

 

 

* Obectra war allerdings nicht im offiziellen Programm vom Fashion Council.