digitale Fashionweek FW2021 Seoul, März 2021
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Screenshots aus Videos und je ein Bild von der offiziellen Webseite
Ausgerechnet jetzt, im großen Shutdown, kann man unkompliziert die verschiedenen Fashionweeks international besuchen – im Internet. Wir schauen dieser Tage in die Publikationen der offiziellen Homepage der Seoul Fashionweek (22. – 27. März), und freuen uns über andere Ästhetik, andere Orte und ein anderes modisches Selbstverständnis.
Die Videos sind in der Direktübertragung sowohl auf der offiziellen Seite zu sehen: https://www.seoulfashionweek.org/schedule/, als auch auf youtube: https://www.youtube.com/channel/UCGJ7KF84FFEvkiFqhYaedXQ. 45 Schauen umfasst das offizielle Programm.
Der Weg über die offizielle Fashionweekseite hat den Vorteil, dass man elegant und unaufdringlich mit weiteren Informationen zu dem Label bzw. den betroffenen Designern versorgt wird, in geradlinigem und unaufgemotztem Webdesign, wo schon gestalterisch die Videoschau ein gleichberechtigtes Element im Ganzen ist. Der Nachteil ist, dass die Übertragung oft ruckelt, sie lädt langsam und erfordert Geduld, manche Filme lassen die Tonspur nicht zu und, logisch, man braucht Übersetzungshilfe fürs Geschriebene, wenn man mehr erfahren will. Unsere Links zu den ausgesuchten Schauenvideos führen also zu beiden Quellen und unsere illustrierenden Abbildungen sind wieder Screenshots daraus, sowie einem Beispielbild von der offiziellen Seite, ohne eigene Rechte.
Stilistisch sind die Filmchen sehr sauber und meist eher konservativ angelegt (man hat den Eindruck, viele seien vom selben Regisseur gemacht), die Kleidungsästhetik und kaum der Lifestyle steht im Zentrum und sie wird oft in und mit wundervoller Architektur präsentiert, allein das ist ein optischer Leckerbissen in der Position zwischen Tradition (die fast immer zeichenhaft auftaucht) und anspruchsvoller Moderne 1). Relativ neu ist die Präsentation in virtuellen Welten 2).
Allerdings ist nicht nur die Machart bei vielen Clips sehr ähnlich – auch die grundlegend ästhetischen Kriterien des Modemachens liegen meistens nicht weit auseinander. Klar, kühl aber nicht inhuman ist eine oft anzutreffende, zentrale Basis. Dies betrifft besonders die Schnitte und Silhouetten. Es ist insgesamt – von Ausnahmen abgesehen – ein Variantenreichtum mit verhaltener Eleganz und eine deutlich spürbare Veredelung der Alltagstauglichkeit. Das betrifft sogar Labels wie z.B. Notknowing, das sich auf trendy Streetculture focussiert und wo die Ästhetik stark vom American Style importiert ist. Auch hier noch spürt man die Verbundenheit mit klassischen Regelwerken und asiatisch präzisem Formgebungsanspruch.
In seiner geometrischen Reduktion findet man den bei Hanacha studio.
Bezugspunkte, die Modefilme ja gewöhnlich mittransportieren, sind wesentlich Architektur, manchmal auch Natur oder Urbanität. Auffällig oft gibt es einen Bezug zu Kunst und Museum 3), was sich aber auch damit erklärt, dass das National Museum of Korea mit seiner fantastischen Location für viele der Videos kooperierte. Damit sind ideelle Standorte im Sichtbaren schon wesentlich abgedeckt, nie argumentativ oder übertrieben, gesellschaftliche tauchen eigentlich fast nie auf. Das ist die große Unterscheidung zur hiesigen, westlichen Haltung. Der Kern liegt in der gediegenen Ästhetik.
Sehr viele Labels sind jung, gerade mal ein – drei Jahre alt. Sie kommen kaum revolutionär daher, das Zeitgemäße baut erkennbar auf solide Geschmacks- und Handwerksgrundlagen, nicht auf individuelle Abenteuer oder herausstechende Experimente. Das führt zu einer stets sicheren Eleganz und auch die Zielgruppen unterscheiden sich nur in einem homogenen Kontext.
Westliche Einflüsse sind wichtig, die kommen eher aus New York als aus Paris oder Berlin. Spannend sind sie dann, wenn sie so adaptiert werden, dass sie als ausgewählte Bereicherung oder Inspiration der eigenen Kultursphäre erlebt werden. Beyond Closet interpretiert sogar den klassischen amerikanischen und adretten Look (ironisch) neu. Meistens bleibt die klare Linie dominantes Merkmal und bei allen Extras und Besonderheiten gilt die Maßgabe der Zurücknahme aufs Wesentliche. Farbkontraste, selbst wenn sie stark daher kommen, sind immer sehr subtil ausgelotet.
Quasi parallel dazu gibt es noch eine kleine Blümchen-Glitzer-Pop-Fraktion, jene, die sich dann doch von der Klassik längst verabschiedet hat und dem mehr oder weniger grellen Asia-Pop fröhnt. Gekennzeichnet von Einfallsreichtum, frechem Umgang mit Sexyness und großer Farbenfreude, annähernd beliebigem Mix der Gestaltungen, Materialien, Muster, Schnitte und Zeichen und angstfreiem Umgang mit Kitsch, entwickeln diese Designer Streetwear, die sehr jugendspezifisch ausgerichtet ist und hemmungslose Lebensfreude widerspiegelt 4). Eine sehr leichte und launige Hemmungslosigkeit allerdings, die hier im Westen nur schwer gefunden wird.
Natürlich gibt es auch eine Reihe von Designern, die versuchen, sich komplett international zu orientieren.
Neun besondere Prägungen wollen wir empfehlen:
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UL:KIN
Ulkin versteht sich als eine Unisex-Casual-Marke, die auf künstlerischen Kulturen „wie dem Lebensstil und dem Ausdruck von Künstlern“ basiert, die sich also schon etwas spezifischer auf einen sozialen Kontext focussiert, der als „Kunstkultur“ verstanden wird. Kulturhistorische Bezüge (im Nationalmuseum Korea) werden als Auseinandersetzungs- oder Bereicherungspotential gezeigt und dokumentieren die Idee einer gesamtkulturellen Positionierung der Jugend (statt selbstreferenziell, wie meistens hier im Westen).
Das Video ist etwas experimenteller angelegt und die Kleidung setzt zwar auf leicht exzentrischen Touch, ist aber dennoch so konzipiert, dass sie auf natürliche Weise in den Alltag integriert werden kann.
UL:KIN war auch auf der New York Fashion Week letzten Sommer vertreten.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/87/2021FW/UL:KIN
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CARUSO
Das Label gibt es schon seit 1987 und gehört also zu den erfahrenen und längst erfolgreichen Teilnehmern. Dafür ist es auffallend mutig und steht auch offen zu seinen (oft starken) amerikanischen Einflüssen. Gleichwohl ist es weit entfernt davon, sich anzubiedern, denn subtile Eleganz ist auch hier das Maß der Wagnisse und das reicht bis in die Kategorie der Streetwear, die von plumper Hiphop-Ästhetik nichts außer einer gewissen Zeichenhaftigkeit übrig lässt. Selbst Schrilles und Schräges bekommt immer den Touch des erlesenen Geschmacks und kann sich stilistisch auch im Kontext zurückgenommener Eleganz niveauvoll behaupten.
Sogar der modekulturelle Bezug zur eigenen Historie ist pfiffig und behält stimmige Überzeugungskraft.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/27/2021FW/CARUSO
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SAINT MILL
zeigt eine scheinbar romantisch verspieltere Version der strengen Konzeptionalität, aber schon die Silhouetten demonstrieren, dass dies keine Gegenposition ist. Altrosa, Blassgrün, Violett und Schwarz bilden ein begrenzt chromatisches Spektrum und auch die Ausstattung verliert sich nicht in detailliertem Kleinklein, sondern führt verschiedene Varianten einer Leitidee vor, die „strukturelle Schönheit und Kompositionsschönheit“ durchspielt, Flächen und Linien in rhythmische Bewegungen überführt.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/483/2021FW/SAINT_MILL
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PAINTERS
Schon der Name verweist auf ein Designer-Kollektiv (‚Artist Group‘), das sich eher der Kunstszene zugehörig oder verwandt fühlt und kreative und kommerzielle Gestaltung auseinander halten will. Dazu zählen Branchen wie Malerei, Musik, Video, Grafik und Schnitt. Die Schau zur Fashionweek zeigt Varianten aus verschiedenen Kollektionen und keiner stilistischen Linie. Besondere Raffinessen findet man außerdem in den Textilstrukturen und den Schnittarchitekturen, der hohe handwerkliche Anspruch lässt sich auch auf exzentrische Ideen und Sihouetten ein.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/559/2021FW/PAINTERS
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KIMZISU
Eine überzeugende, zeitgemäße und sehr geschmackvolle Synthese westlicher Modekultur mit klassisch asiatischem Gestaltungsstil präsentiert das junge Label KimZisu. Hier ist auch die Videopräsentation eigenwillig gemacht und sie integriert geschickt und unaufgeregt die Codes modernen Lebens.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/580/2021FW/KIMZISU
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GREEDILOUS
Über das Label von Younhee Park berichteten wir bereits aus Paris. Die dynamische und erfolgreiche Designerin ist im permanenten Entwurfs- und Realisierungsmodus mit anhaltend spannenden und vielfältigen, kreativen Ideen. Sie beherrscht eine ungewöhnlich große Gestaltungspalette in Mustern, Codes, Schnitten und Stilen, meist bunt, aber immer mit lebensfrohen, lustbetonten Akzenten. Auch die Show dieser Saison belegt das üppig und eindrucksvoll – es sind eigentlich mehrere Kollektionen.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/73/2021FW/GREEDILOUS
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BY D BY
Seit 2016 gibt es das Label des Designers Buyong Song. Bei seiner Herren-Kollektion sieht man den Brückenschlag zwischen Tradition und Moderne recht beispielhaft, besonders reizvoll deswegen, weil der Einfluss lässig amerikanischer Streetculture dabei nur gering ist. Ausgeprägtes Formenbewußtsein einerseits und innovative Schnitte decken die Spanne zwischen Casualwear und Businesskleidung auf gehobenem Niveau ab, gerade für Männermode ein zumeist schwieriger Balanceakt, der hier überzeugend, mit sicherem Geschmack und ohne viele Mätzchen gelungen ist.
Den Gegenpart dieser Gestaltungsphilosophie bietet dann gleich die nachfolgende Schau von unnorm.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/456/2021FW/BY.D’BY
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DOUCAN
Ein Feuerwerk japanisch anmutender, überbordender Kreativität und gleichzeitig souveräner Geschmackskultur führt das Label von Chunghoon Choi vor („Après La Mousson“). Seine aufgeprinteten, komplexen Grafiken wirken wie künstlerische Ableitungen aus japanischen Mustern, ergänzt durch ebenfalls grafisch raffinierte Schnitte und Linien. Die gut kontrastierende Schau in strenger, farblich zurückgenommener Architekturgeometrie (National Museum of Korea) entwickelt eine sprühende Lebendigkeit mit erfrischender Eleganz und größtem Abwechslungsreichtum. Eine Synthese aus Kunst und Design, Eleganz und Lebensfreude auf höchstem Niveau.
Definitiv unser Favorit!
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/504/2021FW/DOUCAN
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PART OF UNIVERSE
Auch die Influencer-Fashion-Kultur findet eine Repräsentanz im Programm. Lifestyle ist der Ausgangspunkt – Smartphone-Life, Selfiemanie, Clubleben, International Instagram-Youth und Group-Hipness prägen die Gestaltungsbasis von Chungae Park und der zugehörigen Videoproduktion. Kurz, schnell, flüchtig.
https://www.seoulfashionweek.org/highlights/view/581/2021FW/PART_OF_UNIVERSE
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Am Ende der Fashionweek bleibt besonders die Prägung asiatischer Ästhetik in ihren vielen Varianten haften, eine Faszination, die sicher nicht deckunggleich ist mit dem Interesse der Koreaner. Besondere Aufmerksamkeit haben da zum Beispiel die Label ul:kin, Beyond Closet sowie Doukan, Tibaeg und Setsetset. Die Kooperation des National Museums of Korea erweist sich nicht nur als ästhetisch kluge Ergänzung für die Präsentationen in den Videos sondern sie ist zugleich eine Markierung für den kulturellen Stellenwert der Mode im Land – ein Selbstverständnis, das hierzulande erst im mühevollen Aufbau ist.
1) z.B. C-ezann E, Cahiers
2) A.Bell
3) Beyond Closet, ul:kin, C-Zann-E, Painters, Big Park, Doukan
Alle Bilder sind von der Webseite des jeweiligen Designers bei der Seoul Fashionweek und die Rechte bei den betreffenden Autoren dort!
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