Neo.Fashion. – Fashion for Future? (pt.III) Hochschule Hannover

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Berlin Fashionweek AW2020, Vienna House Andel´s

Bilder: Boris Marberg
Text: Gerhard Paproth

 

An der Hochschule Hannover ist der Studiengang Modedesign Teil einer Gruppe von insgesamt 15 Masterstudiengängen (Medien, Information, Design) und stellt die Aspekte Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Ethik als inhaltliche Schwerpunkte heraus. Im Rahmen dessen fordert sie die „Entfaltung individueller Handlungsspielräume und Entscheidungsfreiräume“ für selbstbestimmte Gestaltung.
Besonders erwähnt wird bei der Selbstbeschreibung eine Spezialisierungsoption auf nachaltige Designstrategien, auf Männermode und auf geschlechterübergreifende Enby-Mode (nonbinary). Damit wird formal schon eine ideologische Ausprägung angedeutet, die zwar kein Alleinstellungsmerkmal darstellt, aber doch den Geist des Modedesigns vorprägt und strukturell institutionalisiert. Die gezeigten Kollektionen und die Kataloghinweise bestätigen auch klar, dass die Basis des Modemachens wesentlich ideell (oder ideologisch) geprägt ist bzw. sein sollte und die Suche nach visuellen Konzepten und ästhetischen Qualitäten bestenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. Nur wenige, sich behauptende Ausnahmen bestätigen die Regel.

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Patrick Rizzo „A Colour“.
Die Ton-in-Ton-Stickereien mit provokanten Inhalten sieht man aus der Entfernung nicht. Sie sind aber wichtiger Bestandteil einer umfassenden sozialen Philosophie, die sich mit Rassismus beschäftigt, mit Land- und Kulturraub, Genoziden, Vorurteilen, fragwürdiger Fortschrittlichkeit und vielem mehr. All das fasst sich in Patrick Rizzos Modedesign zusammen in gedeckter Ton-in-Ton-Farbe und schlichter Gestalt. Gleichwohl ist ein einheilicher Style nicht erkennbar und vielleicht auch angesichts der Problemvielfalt nicht angestrebt.

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Lars Lahrmann „x/10“
Eine Kollektion, die ästhetischen Ansprüchen und praktischem Nutzen folgt. Die vorbildlichen Kriterien sind Gestaltungsansprüche des bauhaus und deren Nachfolge mit Dieter Rams. Auch wenn das Ideal schon abgenutzt erscheint, entwickelte Max Lahrmann daraus eine Ready-to-Wear-Kollektion von 10 Basics der Männerkleidung mit Focus auf Funktion und Qualität in zeitgemäßer Ausprägung (z.B. mit kurzen Hosen, die damals für Männer aus Geschmacksgründen noch verpönt waren).

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Annika Jasmer „Brennum allt“.
Mit Faszination für Island im Hinterkopf entwirft die Designerin Mode für Umweltbewusste, mit Pflanzenfärbung, handgewebten Stoffen und hochwertigen Naturmaterialien, also ganz radikal und rudimentär ökologisch ausgerichtet. Die Kleidung soll zudem Herausforderungen der Naturgewalten trotzen, was man ihr zwar nicht unbedingt ansieht, aber als eine geistige Verortung gedacht ist.

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Claudia Bumb „Under Water Over Flow“.
Auch dieses ist eine gezielt ökologische Kollektion, thematisch begründet sie sich in der Verschmutzung der Meere mit Plastik. Die verwendeten Materialien (upgecycled aus Cellulose, Seide, Baumwolle und Meeresplastik) sind kreislauffähig ausgesucht. Die Gestaltung versucht die gedanklichen Verweise anzudeuten, ist ansonsten aber noch eher unentschieden formuliert.

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Christiane Gawlik „Reckless Abandon“.
Auch dies ist eine eher klassisch ausgerichtete Streetwear-Kollektion mit Anspruch an Belastbarkeit. Ideell ist sie aus einer allgemeinen Begeisterung für jugendkulturelle Freiheit und für die Stärke der Rebellion erwachsen, eine repräsentative Ästhetik dafür ist allerdings nicht wirklich erkennbar.

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Jingjing Qi „Boochen“.
Die Designerin hat ein Surfwear-Label gegründet und verfolgt entsprechend das Ziel, praktische und farbenfrohe Kleidung für dieses sportive Umfeld zu kreiieren. Ein ideologischer Anspruch an Ökologie drängt sich hier nicht unnötig auf, er ist in den nachhaltigen Materialien und der Funktionalität aber selbstverständlich.

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Svea Behrens „Razzzle Dazzle“.
Auch diese Unisex-Kollektion ist erfrischend farbenfroh – Mintgrün, Rosa, Hellgelb und -orange („Candy-Farbkarte“) evozieren Lebensgefühle der 50er und 80er Jahre, die Formen und Silhouetten sind allerdings aus der Gegenwart entnommen. Geometrische Flächen, vorwiegend Rechtecke, werden spielerisch und kontrastierend kombiniert. Auch wenn dieser Formenkanon oft etwas konträr und sperrig anmutet, ist doch die dominierende Farbgebung ein Signal der Lebensfreude und einer gewissen Leichtigkeit.

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André Rosenberg „&RE“
Die schwule Unterwäsche-Kollektion für Männer ist aus einem kämpferischen Geist der darstellenden Selbstbehauptung erwachsen. Wenn auch die Etablierung solchen kulturellen und sozialpolitischen Bewusstseins in der Mode durchaus ideologische Berechtigung hat, so bleiben die vorgeführten Teile doch eher selbstverständlich sinnlicher Natur, entwickeln eigene ästhetische Vorstellungen, erotische Signale und extrovertierte Sexualität. Der Kampfgeist schwingt eher in der Entschiedenheit mit.

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