Neo.Fashion.: Fashion for Future? (pt.I) HAW Hamburg

Neo.Fashion.: Fashion for Future? (pt.I) HAW Hamburg

Berlin Fashionweek AW2020, Vienna House Andel´s

Bilder: Boris Marberg
Text: Gerhard Paproth

 

Es hat schon eine innere Logik, dass die Schauen der deutschen Hochschulen mit ihren „Best Graduates“ in Modedesign den Vorlauf der Fashionweek bestreiten und damit Erwartungen aufwerfen, wie die Studenten am Ende ihrer Studien ihren eigenen Zeitgeist reflektieren. Drei Schauen mit je drei Hochschulen sind ein ausgiebiges Programm, bei dem unzählige Gestaltungsstyles in schneller Folge letztendlich nicht nur Absolventinnen und Absolventen vorstellen, sondern auch Lehrkonzepte und letztlich sogar Eigenheiten der unterrichtenden Professoren bzw. Dozenten. Nicht selten nämlich werden noch Semesterkonzepte und -Themen erkennbar, von denen sich die Abschlussarbeiten nicht emanzipiert haben. Sowohl im technisch gestalterischen Sinne als auch im Blick auf intellektuelle Reflexion. In einer vorbildlichen Sammlung und Aufbereitung ist zu den Schauen ein Katalog erschienen („The Book“ 2020), der die vielen Positionen, Namen und Bildbeispiele zusammenträgt, um dem Erlebnisflash noch eine Aufbereitungsgrundlage zu bieten – leicht überdesigned aber gut strukturiert.

Teilnehmer waren die HAW Hamburg, Angewandte Kunst Schneeberg, HTW Berlin, FH Bielefeld, der Lette Verein Berlin, die Hochschulen Hannover, Bremen, Reutlingen und Halle. Das Format wurde bereits 2019 mit großem Erfolg erprobt und mausert sich schnell zu einer wichtigen Institution, die nicht nur die Suche nach jungen Talenten ermöglichen soll, sondern auch den Stand der Entwicklung der Mode im gesellschaftlichen und kulturellen Kontext vorzeigen will. Mit dem ausgegebenen Schlagwort „Fashion for Future“ tauchen schon diverse Implikationen und Anspielungen auf, die das innere Selbstverständnis des Modemachens in der Aktualität zu fassen versuchen. Dabei setzen die Hochschulen schon verschiedene Schwerpunkte hinsichtlich der branchenspezifischen Kontexte – Stichworte wären zum Beispiel Interdisziplinarität, sich verändernde Berufsfelder, kultureller und gesellschaftlicher Wandel, Künstlerpersönlichkeit, Marktstrategie, Material- und Verarbeitungstechnik, Geschichte, Präsentation und viele mehr. Nicht alles davon erscheint in einer Absolventenschau sichtbar, aber so manches wird spürbar über das jeweilige Exponat (und Parallelen in der Gruppe) hinaus. Im Katalog, der auch Statements und Leitideen zu den Looks aufführt, wird die ungefähre Orientierung schließlich manchmal deutlicher.

Mit drei Hochschul-Schauen stellen wir Beispiele vor (Hamburg, Zwickau, Hannover).
Die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) Hamburg legt, laut Katalog, besonderen Wert auf klare Gestaltungsaussagen mit individuell geprägten Beiträgen. Genderüberlegungen und gesellschaftspolitische Statements und Auseinandersetzung sind offenbar wichtiges Thema im Studium. Das Frauen(selbst)bild spielt in der Schau eine wesentliche Rolle – Kleidung ist sozialer Panzer oder positionierendes Signal.

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Charlotte Strindberg „Lilith 2.0“.
Die Figur der Lilith hat viele verschiedene mythische Quellen, der Bezug hier meint aber wahrscheinlich nicht Bocksgeister sondern bezieht sich auf jüdisch-feministische Theologie (Midrasch), in der Lilith als eine Frau dargestellt wird, die sich nicht Gottes, sondern Adams Herrschaft entzieht. Großes, farbiges Hahnentrittmuster wird bei Charlotte Strindberg zur optischen Waffe, und bedeckt als zweite Haut schon mal den ganzen Körper. Hinzu treten große Drapierungen mit pointillistischem Muster auf Männerstoffen, die in grober Silhouette den Körper hart modifizieren. Haut bleibt dem Blick weitgehend entzogen.

 

Neo.Fashion.: Fashion for Future? (pt.I) HAW Hamburg

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Joséphine Sagna „Painting Fashion“.
Die Absolventin ist zugleich bildende Künstlerin und sieht ihre Kleidungsentwürfe als Verlängerung dieses Schaffens. Auch sie bezieht sich auf die inhaltlichen Komponenten der Weiblichkeit, in der Zerrissenheit zwischen männlichen und weiblichen Aspekten mit farbigen Kontrastierungen und, wie bei den vorgestellten Outfits, männlichen und weiblichen Kleidungstypen in Verschmelzung.

 

Neo.Fashion.: Fashion for Future? (pt.I) HAW Hamburg

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Sarah Niederaus „Insight Out“
versteht Kleidung als Schutz, weniger im Sinne von Wind und Wetter, wie es zunächst scheinen könnte, sondern besonders als mentaler Schutz interpretiert. Aus der Zeltplane einer Jurte gefertigt, hat die Trägerin metaphorisch ihre vier Wände am Körper, wenn sie sich im gesellschaftlichen Raum bewegt.

 

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Sonja Hormann „Desintegration“.
Die Arbeiten sind auf den ersten Blick nicht gesellschaftspolitisch und konzentrieren sich auf ästhetische Formulierungen. Sie repräsentieren gestalterische Transformation von Introspektion, allerdings körperlicher. Die Betrachtung der biologischen Konstellation der körperinneren Anatomie überträgt und überhöht Sonja Hormann mit einem Materialmix in verschiedenen Schichten und organischen Formen, die äußere Silhouette erhaltend. Die gezeigten Lösungen sind in diesem Sinne sehr subtil und genialisch und die konzeptuelle Strategie einer erprobenden Ästhetik ist – im Gegensatz zu den anderen Absolventen – als Ganze organisch verstanden und von daher vielversprechend.

 

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Catharina Holtgrave „Verlanden“.
Die Outfits beziehen sich auf Natur, sie führen ihr Erscheinungsbild auf landschaftliche Anmutung zurück (wesentlich Moorlandschaft), erdige Farben und Bodentexturen sowie Ausdehnungen und Einsprengsel assoziieren bzw. überführen Naturerfahrung. Das geht experimentell über eine bekannte Landarbeitererscheinung hinaus und lehnt an ökologische Sehnsüchte an. Es ist eine Perspektive des nomadischen Typus, der sich von urban orientierter Selbstbestimmung abwendet.

 

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Margarete Geisler „Under Construction“.
Auch hier geht es wieder um Geschlechterfragen, sogar um Diskriminierung, bezogen auf Berufswelt und -kleidung. Stoffe, Schnitte, Accessoires und spezifische Farbgebung aus Arbeitskleidung traditionell männlicher Berufe werden auf Frauenkleidung übertragen und die erzielte Widersprüchlichkeit in der sinnlichen Wahrnehmung geht schon über den spielerischen Witz hinaus. Der amüsante Impetus gesellschaftspolitischer Fragestellung bleibt aber soweit nur dahingestellt, reale Perspektiven für Modedesign ergeben sich daraus noch nicht.

 

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Katharina Rasch „61° 7′ S, 55° 11′ W“.
Die Imperial Trans-Antarctic Expedition ist für die Designerin das Sinnbild des Überlebens im zusammenhaltenden Kollektiv. Katharina Rasch sucht in diesem Ideal eine gestalterische Entgegnung auf gesellschaftliche Spaltungen, Zerfall und Isolierungen. Miteinander korrespondierende Schichtungen, Farben und Formen definieren daher die ästhetische Erscheinung eines Outfits, bodenständig, harmonisch, geschlechtsneutral und assoziativ offen für andere Kulturen.

 

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Céline van de Loo „Die Bedeutung des Objekts. Eine Sammlung“.
Kleidung will hier ebenfalls als Bedeutungsträger verstanden werden, Assemblagen von Fundstücken bilden semantische Konstrukte aus gesammelten Kleidungsstücken. Für die Designerin ergeben sich daraus vielleicht Geschichten und gedankliche (oder emotionale) Bezüge, lustvolle Reminiszenzen an gelebte Aneignungen. Für den Betrachter erscheinen die „Samplings“ eher als spontane, originelle Kleidungskombinationen mit überraschenden Effekten. Die spießige Abbildung eines Klassentreffens auf dem T-Shirt mag vielleicht noch bedeutungsträchtig sein, in Kombination mit den anderen Kleidungsstücken verschwindet das aber genauso wie die anderen Konnotationen und übrig bleibt weniger eine sinnliche, noch eine pfiffige Bekleidungspointe, geschweige denn ein ästhetisches Motiv.
Der vermutlich philosophische Gedanke dahinter ist dagegen schon interessanter, nämlich den Träger zu beauftragen, mit Kleidung kreativ eine eigene Geschichte zusammenzustellen anstatt modeindustriellen Vorgaben und Trends und Statements zu folgen. So verstanden führte die Designerin lediglich eigene Beispiele – gemacht für sie selbst – vor.

 

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Maximilian Lüers „Die unheimliche Frau“.
Mit seinem Interesse an surrealistischen Erscheinungen im Zusammenhang mit Frauengestalten entwickelt der Absolvent einen sehr sinnlichen Anspruch an seine Entwürfe, die das Nachdenken über „das Weibliche“, auch im abgründigen oder rätselhaften Sinne, einschließen. Dafür führt er Zufälliges zusammen, was ihm „weiblich“ erscheint und was den Titel der Kollektion evoziert. Zeitgemäß ist es in der ästhetischen Freiheit, emanzipiert dahingehend, dass die Rollenbeschreibung des Weiblichen aufgelöst und durch mystische Wesenheit ersetzt wird. Ein Ansatz, der die frauenkämpferischen Standards negiert und Eigentlichkeiten aufsucht. Die vorgeführten Outfits überzeugen in dieser Hinsicht allerdings noch nicht so sehr wie das Konzept dahinter.

 

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