Robust und sexy – MAYER Peace-Collection 2011/12
Bilder und Interview: Marcello Rubini
Modell: Ida-Marie
Visagistik und Hair: Anna Bartoschek
Designer Feature und Interview.
MODACYCLE: Frau Mayer, Sie kaufen alte bzw. gebrauchte Textilien auf, und machen daraus neue Kleidungsstücke mit raffiniertem Schnitt, interessanter Optik und originellen Oberflächen. Ist das Konzept in erster Linie dem ökologischen Gedanken geschuldet oder einer originellen ästhetischen Gestaltungsidee?
CHRISTINE MAYER: Das Wichtigste ist zunächst, dass eine Bindung entsteht zwischen dem Material und mir. Die Patches entstehen dann durch die Vorgaben des Materials und die ganzen Spuren, die da ja auch mit drauf sind – die kleinen Löchlein, Taschen, Ösen, Haken – werden damit wieder verwendet. Durch die Struktur, durch das Material, die Stickereien, die Borte, die Kombination lebt das Kleidungsstück auf.
Die eine Richtung ist für mich das Material aus dem Militär: Zelte, Decken von der Marine, Militär- und Feldhemden aus allen möglichen Ländern – das sind immer Materialien, die sehr stabil sind, die eine tolle Qualität haben. Es sind meistens Naturmaterialien wie Baumwolle und Leinen, und die haben nun die Patina bekommen durch das Leben. Darin findet sich auch etwas Männliches, was die Frauen mögen, sie fühlen sich stark in den Jacken, denn das gibt auch eine gewisse Kraft. Unsere Aufgabe ist es, dieses Potential zu transformieren und durch unsere Kreativität zu beleben.
Das andere sind so alte Materialien wie Mehlsäcke, alte Herrenwesten, alte Wolltücher, Mangeltücher, die liebe ich, sie erinnern mich an mein Zuhause, an die Bauernhöfe und die Heuböden, wo wir als Kinder herumgestöbert haben. Es sind handgewebte Sachen wie Säcke, auf denen noch aufgedruckt ist, von welchem Müller der Sack kommt. Ich liebe diese tolle Materialität mit ihrer Haptik und Optik.
All das hat eine Aura und bringt eine Energie mit sich, die die Menschen anspricht.
MODACYCLE: Ich finde, Ihre Kleidungsstücke haben auch Witz, beziehungsweise Humor. An unerwarteten Stellen tauchen zum Beispiel plötzlich Schnallen oder Knöpfe auf, ohne praktischen oder ästhetischen Grund.
CHRISTINE MAYER: Ich mag es Konventionen aufzubrechen, auch Geschichten zu erzählen und die Menschen damit zum Nachdenken zu bringen. Wenn da vorne so eine dicke Öse hängt, ja dann stutzt man erst einmal: was hat die denn da zu suchen, kann man da jetzt einen Karabiner einhängen? Wofür, warum? Diese Effekte finde ich spannend.
MODACYCLE: Welchen Stellenwert nimmt der ökologische Gedanke beim Entwerfen von Ihrer Mode ein?
CHRISTINE MAYER: Mit dem Material und der Reaktion darauf hat es angefangen. Außerdem hat auch dieses Recycling viel mit mir zu tun, das begleitet meinen Lebensweg.
Es geht dabei hauptsächlich darum, neue Wege in der mode zu finden. Der ökologische Gedanke ist ein unumgänglicher Teil dieses Weges.
MODACYCLE: Mit der Wiederverwertung alter Stoffe unterschiedlichster Art kehren Sie auch zu textilen Traditionen zurück. Als modern gilt aber doch die Verwendung von innovativen High-Tech-Materialien.
CHRISTINE MAYER: Ich glaube, die alten Materialien, die wir verarbeiten, haben so eine Stabilität, solch eine fundamentale Qualität, das ist nicht zu toppen. Wenn ich dagegen beobachte, dass die neue Jeans mein Sohnes aus einem bekannten Markenhaus nach vier mal Tragen sowieso durch ist, dann sieht man, was für Qualitäten der breite Marktbereich anbietet. Diese alten Materialien aber haben schon hundert Jahre auf dem Buckel und die sind immer noch super, unverwüstlich! Das finde ich toll.
Darüber hinaus interessieren mich auch die alten Formen, die man ja auch immer neu interpretieren kann, aus der Jahrhundertwende oder den 20er Jahren. Herrenanzüge zum Beispiel, die üben eine große Faszination auf mich aus. Aus den alten Fundusstücken und von den alten Bildern gewinnen die Betrachtungen eine innovative Kraft, und mit den Umformungen beschreiten wir neue Wege und Anschauungsweisen.
Aber wir verwenden inzwischen ja auch neue Materialien. Die beziehen wir jedoch von einem Hersteller aus Italien, der einen ganz ähnlichen Ansatz hat wie wir, der sich also auch von den alten Materialien inspirieren lässt und seine Stoffe in diesem alten Stil zusammenstellen bzw. weben lässt. Das passt sehr gut zu uns.
MODACYCLE Ich bin neugierig, wie Ihr Gestaltungsprozess verläuft. Würden Sie uns davon erzählen? Was steht am Anfang und was kommt zuletzt?
CHRISTINE MAYER: Am Anfang steht das Material. An der Puppe fange ich an, die Form zu entwickeln und zu drapieren. Oder ich sehe das Material vor mir und entwickle mit Nessel an der Puppe den Schnitt. Das ist ein traditionelles, japanisches Verfahren. Mit dem Zuschnitt der einzelnen Teile entwickle ich die Patches in ihrer Zusammensetzung. Im Grunde ist es wie das Vorgehen eines Bildhauers, denn so wächst das Ganze an der Puppe zusammen. Das Ergebnis ist schließlich die Vorlage für die Produktion, die später nach den Ordern startet. Wir müssen dann die Materialien suchen gehen und bestellen. Die Produktion muss genau nach Vorgabe mit großer Kunstfertigkeit die Teile zusammenpatchen.