Berlin Fashion Week AW2025 – Bunker West
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Boris Marberg
Der Einfluss von Fantasy aus der digitalen Welt ist das auffälligste Merkmal der Kreationen von Marlon Ferry, besonders prägend sind die verästelten Dekorationen, die meistens die Outfits ergänzen oder sogar ausmachen. Seit seiner Ateliergründung im letzten Jahr und der ersten eigenen Schau im Zuge dessen hat der Designer sein Konzept ausgebaut und kann die entsprechenden Erwartungen mit seiner neuen Schau auch einlösen. Das geschieht mit Classe und hohem Anspruch.
Die Präsentation seiner neuen Kollektion ist im Gegensatz zur letzten klar und deutlicher auf den Punkt gebracht, sie verzichtet auf Verbrämung und mystisches Brimborium und steht stattdessen deutlich für einen Anspruch bestechender und fantasievoller Eleganz. Die Silhouetten sind sehr präzise formuliert, viele ganz wunderbare A-Gestalten mit weit ausladenden Röcken und zarten Oberteilen, ausgehend vom klassischen Gestaltfundus hin zur avantgardistischen Steigerung. Die gestalterische Arbeit setzt dabei auf qualitative, konzentriert durchgestaltete Couture-Stücke, zehn an der Zahl – also eindeutig auf Klasse statt Masse. Entsprechend überzeugend sind sie alle geraten. Die artistische Kreation mit ihrer sichtbaren Liebe zum ausgestalteten Detail ist selbstverständlich verbunden mit entsprechend innovativen Materialien, wie Latex, fließender Seide und Chiffon – gerade das Latex erlaubt ganz ungewöhnliche Zeichnungen, am besten gleich am Computer und die moderne Produktion mit 3D-Druck. Mit diesen Verfahren und Materialien stellt die „neue“ Couture vorteilhafte Alternativen neben die aufwändigen, kunsthandwerklichen Arbeiten, die stets zwingend teuer waren und nur als Unikate von erlesenenen Häusern geleistet werden konnten. Einfallsreiche Newcomer wie Marlon Ferry können von dieser Demokratisierung der exquisiten Details gut profitieren und kommerzielle Entwicklungsschritte verkürzen und sie setzen damit zugleich neue, moderne Maßstäbe in der Couture.
Der Pressetext bringt den gestalterischen und prozessualen Ansatz des Designers gut auf den Punkt: „Inspiriert von den grenzenlosen Möglichkeiten virtueller Welten und der organischen Schönheit der Natur strebt er danach das Künstliche und das Natürliche in einer mutigen, progressiven Vision in Einklang zu bringen.“ Als Visionär hat er sich mit der ersten Schau schon einen Ruf gemacht, diese zweite unterstreicht das definitiv.
Damit stellt sich der Designer tatsächlich als ein herausragendes Beispiel für die innovative Moderne der Mode auf, ganz abgesehen davon, dass sich mit seiner Designphilosophie auch kritische Vorstellungen zur aktuellen Zeitgeschichte und zu problematischen Entwicklungen verknüpfen, jedenfalls hinsichtlich des individuellen Erlebens des jungen Menschen im soziokulturellen Kontext. Als gestalterischer Faktor zeigt sich dieser Aspekt allerdings nicht offenkundig, höchstens durchscheinend, ergänzt aber schon die verantwortungsbewußte Haltung zum Modemachen, die junge Modeschöpfer heute mitbringen.
In der choreografierten Abfolge der zehn (plus 1) Exponate startet die Schau mit einer recht reduzierten, schlichten Kleidgestaltung, mädchenhaft aber doch mit gestalterisch dezidierten Formulierungen von Kragen, Ärmeln und Rockansatz. Danach steigern sich die Erscheinungen ornamentaler, futuristischer und üppiger in allen Aspekten, Eleganz dominiert zunehmend die kühnen Konzepte und schließen dann als geradezu fantastische Vorstellung ab. Alles das selbstbewußt in ruhigem Tempo, zum Staunen und Betrachten und Genießen.
Mit der von Anspruch geprägten Konzentration auf die eigene ästhetische Handschrift und dem innovativen Prozess der Realisierung gelingt dem Modemacher ein ungewöhnlich schneller Start mit Erfolg in der Branche. Trotz gediegener Ausbildung (zum Beispiel auch bei Iris van Herpen) ist das recht ungewöhnlich, vor allem, weil die deutliche Zielvorgabe innovative Haute Couture das wohl Schwerste und Aufwändigste ist. Mit Marlon Ferry hat die Berliner Fashionweek darum eine ungewöhnliche Perle im Programm, die ihr hoffentlich nicht zu schnell abspenstig werden wird.