Berlin Fashion Week SS2025 – Nest3
Bilder: Boris Marberg for BFW
Text: Boris Marberg und Gerhard Paproth
Der junge Designer Marlon Ferry präsentierte erstmals in einer eigenen Modenschau seine Kreationen und feiert mit der Veranstaltung auch den Start des eigenen Ateliers in Berlin. Spannenderweise repräsentiert seine Arbeit die Schnittstelle zwischen herkömmlichen und modernen Verfahren.
Im Weiß gehaltenen, nüchternen Veranstaltungsraum Nest3 in der Leibnizstrasse wurde das Publikum mit Technosound empfangen, alles tauchte in Kunstnebel ein. Ferry zeigte dem Publikum elf Looks, welche auf 3D-Druck Technologie basieren und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz erschaffen sind. Das Avantgardistische der Kreation besteht hier also nicht allein in einer Art fantasybasierter Gestaltung, sondern auch in der Anwendung von Technologien wie 3D-Druck, virtuelle Mode und KI. Durch die Kombination dieser Spitzentechnologien mit traditioneller Handwerkskunst und klassischen Couture-Techniken sucht Ferry eine fortschrittliche Designsprache, die Mode und skulpturale Kunst vereinen soll.
Die Herkunft der Anschauungswelten setzt sich aus vielem zusammen, wie erwähnt aus Fantasy-Spielen und -Filmen aber auch seiner Mitarbeitszeit bei Iris van Herpen, und das wurde schon in seiner Masterarbeit sichtbar, die in diese Kollektion wohl mit eingeflossen ist. Gestalterisch setzt der Designer damit auf ein sehr breites und etabliertes Spektrum an futuristischer Erfindung von Kleidung, was bisher in der Modewelt nur wenig Resonanz findet, trotz aller innovativer Fantasie und kreativer Faszination des virtuell möglichen. Eigentlich ist der Schritt zur Übertragung utopischer Kleidungsideen aus diesen Scheinwelten in die Realität nicht wirklich groß. Ferry versucht ihn behutsam zu gehen, mit gleichzeitiger Anbindung und Anspruch an traditionell hohe Schneiderkunst. Durch die subtile Integration von KI in das Fundament der Kollektion soll dennoch, laut Auskunft des Labels, die Frage provoziert werden, ob diese Technologie ein Segen oder ein dämonischer Fluch für die Menschheit ist. Der düstere Soundtrack spiegelt dies spürbar, der Dunst soll es wohl auch, erweist sich aber eher kontraproduktiv, weil man nicht mehr viel sieht und die vielen optischen Reize und handwerklichen Qualitäten damit ihre Brillianz einbüßen.
In den Fantasy-Spielen ist Kleidung auch typgerecht an Gut und Böse oder an Bedrohlich und Freundlich-Sexy angepasst und mit unendlich vielen applizierten Accessoires aufgemotzt. Das sind verführerische Vorlagen. Ferry nimmt allerdings das Stereotype weitgehend heraus und übertreibt es nicht mit den Ergänzungen, behält aber die ästhetische Orientierung bei. Geschickt schlagen seine Outfits Brücken zwischen dem Ersponnenen und traditioneller Bekleidung.
Moderner Entwurfstechnik und neuer Herstellungsverfahren bedarf es dieser Ästhetik eigentlich nicht, aber Ferrys Atelier bedient sich ihrer auch, das komplettiert gewissermaßen die futuristische Orientierung. (Über konzeptionelle Ansätze, Mode umfänglich mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu generieren – bis hin zur automatisierten Verarbeitung – haben wir schon berichtet.) Strenggenommen entwickelt er damit aber eher die Accessoires, beziehungsweise die Ergänzung zur Kleidung im Sinne tragbarer, skulpturale Kunstwerke. Seien es helmartige Hauben, oder Exoskelette, die direkt aus künstlichen, brachialen Welten der Computerspiele stammen könnten. Alltagstauglichkeit kann man nicht attestieren, dies Modekonzept ist soweit eine Nische, welche sich schon weit von Konventionen entfernt.
Den klassischen Ansatz und die tradierte Ausbildung in Sachen Mode beziehungsweise Couture negiert die Kollektion allerdings keineswegs. Wenn man die Struktur-Accessoires von der eigentlichen Kleidung trennt, kommen andere Motive hervor, die wesentlich zugänglicher erscheinen. Hier finden sich Adaptionen von klassischen, bodenlangen Maxi-Kleidern, die figurbetont sind und sogar Anlehnung an Kleider des frühen Mittelalters verarbeiten. Dies trifft auch auf einen langen und voluminösen schwarzen Herrenmantel zu oder die ansprechende Kombination aus Lackbomberjacke mit Kapuzenshirt und einer Hose aus Kunstfell.
Marlon Ferry positioniert sich also in den Übergang von Klassischem und Futuristischem, soweit beides uns nahe ist. Dies geschieht nicht unkritisch: Hinter der Modeschöpfung beschäftigten ihn die soziologischen und konzeptionellen Aspekte der Mensch-Maschine-Beziehung, die gegenwärtig neu im Raum steht. Infolgedessen stellt er traditionelle Couture-Techniken, zum Beispiel das aufwändige Plissieren von hochwertigen Stoffen, wieder mehr in den Mittelpunkt als früher. Auch die 3D-Skulpturen wurden nicht mehr wie zuvor nur lackiert, sondern mit anderen Materialien kombiniert, um dem Handwerk wieder mehr Bedeutung zu schenken und die Arbeit der Maschine zu übertreffen. Diese vorgeführte Kollektion kombiniert beide Vorgehensweisen im handwerklichen Prozess. Andererseits bleibt für Ferry die Überlegung, was menschliche Kreativität ausmacht, wenn kreiierende Technologie mit KI solche Fähigkeiten imitiert und eigenständig konzipiert. Künstlerischer Wert entsteht erst in der vom Menschen gestaltenden Weiterverarbeitung, dessen ist er sich bewußt. Insofern ist die Kollektion durchaus auch eine Schnittstelle im kritischen Umgang.
Die Ansätze sind spannend, phantasievoll und verdeutlichen eine vertiefte konzeptionelle Auseinandersetzung mit Themen der skulpturalen Gestaltung, den ambivalenten Strömungen (Sozialkonstruktivismus) und den gängigen, eskapistischen Fantasywelten in der postmodernen, virtuell geprägten Gesellschaft.