Berlin, FW-ss2019, E-Werk
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Boris Marberg
Mit einer sehr kultivierten Schau demonstriert die Künstlerin bzw. Designerin auch diese Saison wieder eine komplexe und subtile Auseinandersetzung mit einem schillernden Thema, nämlich „Venedig und sein Gesicht“. Das Kultivierte ihrer Transformation in Mode liegt eben darin, dass nicht, wie so oft, die alten Fassaden und Motive einfach als Anschauungs- und (touristische) Sehnsuchtsträger in Form von Printelementen appliziert werden, sondern im Versuch, die atmosphärische Besonderheit und ästhetische Feinheit zu fassen und mit gestalterischen Mitteln zu reflektieren.
Schon das Thema ist schnell sehr komplex, wenn man sich damit beschäftigt, Geschichte, Ästhetik, geografische Besonderheit, spezifische Kultur, Pracht und Glanz, das optische Oszillieren im mediterranen Licht, der morbide Zerfall und nicht zuletzt der architektonische Stil sind Teile eines großen Puzzles der Individualität dieser Stadt, die zu begreifen sind, wenn man das Ganze angemessen erleben und aufbereiten will.
Das „Gefühl von freierem Leben, höherer Existenz, Leichtigkeit und Grazie“ (Goethe), das Venedig vermittelt, soll also die Kollektion heraufbeschwören, und das ist Isabel Vollrath auf faszinierende Weise und sehr poetisch gelungen.
Dabei bedient sie sich nicht nur gestalterischer Zitate sondern nutzt ein großes Gestaltungspotential, stets ohne zu dick aufzutragen. Zarte und lichte Farbigkeit, ausgehend von Weiß und Transparenz, immer nuanciert und zurückhaltend eingesetzt, lokal beobachtet und transzendiert (auch Gold, Kupfer, Orange und Erdtöne), bestimmt die atmosphärische Leichtigkeit der Stücke, kräftigere Farbgebungen sind den lokalen Erscheinungen entlehnt. Das gotische Maßwerk der Architektur, an sich schon sehr feingliedriger ästhetischer Ausdruck, ist übertragen in minimalisierte, computerisierte feine Linienmuster (reduziert auf Säulen, Spitzbögen, Vierpässe und schmale Gitter), die mal vorsichtig den Gewebeglanz strukturieren, mal etwas pointierter die Oberfläche besetzen. Schlicht aufscheinend oder mehrfach übereinander gedruckt suggerieren diese Muster die repräsentative Oberflächenprägung der Stadt auf der Kleidung.
Die Stoffe, oft zart, schimmernd und edel (z.B. Wildseide, Seidenorganza, Gaze) sind meist dünn und fein in ihrer haptischen Wirkung und eher dann etwas fester, wenn der Oberflächenpracht gehuldigt oder durch komplizierte Fältelungen Kraftvolles wieder differenziert wird. Isabel Vollrath liebt raffinierte Fältelungen, auch dabei hat sie sich manchmal der Vorbilder aus Spätgotik und Renaissance bedient, also eher klar strukturierend und die Oberfläche öffnend (Fältelungen, Biesen, Plissées) oder als Kontrapunkt zu den geradlinigen Korsagen. Mit großen Faltenbewegungen erzielt Isabel Vollrath aber auch üppige Formgebung, die von Körpernähe bis zu körperunabhängigen Ausbuchtungen Inspirationen und Ideen durchspielt und dabei gelegentlich andere modehistorische Zitate nutzt, die sich locker von der eher strengen Renaissance entfernen (zum Beispiel die Krinoline). Dabei folgt sie ihrer grundlegenden Lust am skulpturalen Spiel mit neu organisierenden Volumen bzw. Plastizitäten.
Hinzu fügt die Designerin elegante, der Historie entlehnte Modeelemente, Puffärmel oder lange, schmale Manschetten, Korsagen, Stehkrägen und zitiert Proportionen bzw. Gestaltideale (Taille, Rücken-Hals etc.), wie sie en vogue waren. Sogar ein sakral anmutendes Kleid ist dabei. Von Schleifen hat sich Isabel Vollrath noch nicht ganz verabschiedet, sie sind nach wie vor ihre Option auf gestalterische Akzente.
All das fügt sie mutig und subtil zu stimmigen und durchaus „modernen“ Erscheinungsbildern zusammen, mehr bestimmt von der sich ergebenden grazilen Ausstrahlung als vom Zitat, das darin aufgeht und vom präzisen Handwerk, das selbstredend Teil der ästhetischen Vorstellung ist.
Sie schaut genau hin, was die historischen Qualitäten und Eigenheiten angeht, lässt sich tragen von den atmosphärischen Reizen und überträgt sie in eine moderne, freie Gestaltung, die das vermittelt, ohne plakativ-historisierend daherzukommen. Dass diesem Empfinden eine klassische Zeitlosigkeit zugehört, hat Isabel Vollrath mit ihrer Kollektion nicht nur bewiesen, sondern sie verpasst damit unseren eher groben optischen Realitäten eine subtile Infusion verfeinerten Geschmacks, und das auf ganz zeitgemäße und letztlich eher künstlerische Weise.
Anmerkung: Isabel Vollrath hat einen von Projekt Zukunft geförderten Fashionshow-Slot auf der MBFW gewonnen.