Hyères 39 – Les Défilés 1

39. Festival de Mode, de Photographie et d‘Accessoires de Mode, Hyères, Oktober 2024

Défilé für den Grand Prix du Jury Première Vision, Prix du public, Prix de la collection éco responsable Mercedes Benz, Prix le19M des métiers d’art

Text & Bilder: Gerhard Paproth

Im Gegensatz zum Showroom, wo man die Designerexperimente näher betrachtet, manchmal unter dem Gesichtspunkt der Herstellung und des innovativen Anliegens, also eher leicht konzeptbefangen, ist die Modenschau auf dem Laufsteg etwas befreit davon und der ästhetische Blick aufs Ganze dominiert die Wahrnehmung im Scheinwerferlicht. Das heißt, die gestalterische Entwurfskompetenz wird letztlich vorgeführt und neben dem gelegentlichen Wow-Effekt schleicht sich manchmal auch der Gedanke ein, wie man sich die Kleidungs-Gestalten im Alltag vorstellen könnte – und sei es auch nur für einen in der nahen Zukunft liegenden Moment.

Dies ist sicher nicht die umfassende Sicht der Juryteilnehmer, die heutzutage gerade Nachhaltigkeit und einfallsreichen Umgang damit zuvorderst erkennen und prämieren müssen, zu recht. Doch der Außenstehende läßt sich erst einmal von der Originalität des Erscheinungsbildes verführen, Produktionsvorteile und ethische Ausgangshaltungen geraten in den Hintergrund. Die Folge ist, dass der Publikumspreis oft ganz anders begründet ist, als die professionell beschlossenen. Das fällt erst dann zusammen, wenn das Gesamtkonzept einen hohen Grad an Souveränität in allem erreicht.

Die Schauen auf dem Festival sind in ästhetischer Experimentierfreude ähnlich dem, was man bei Modeschulabschluß-Präsentationen sieht, nämlich mehr exotisch als exquisit, mehr mit avantgardistischem Geist behaftet als man bei den großen Schauen in Paris oder anderswo findet. Darin liegt für uns jedenfalls der ganz besondere Reiz. Hier werden erstmalig neue Mixe erprobt, neue Architekturen und neue Farbkombinationen erfunden, textile Verrücktheiten herausgestellt, Klassisches wird neu gesehen oder gebrochen und Umformungen bekannter Alltagserfahrung vorgeführt. In dieser Hinsicht kann die aktuelle Ausgabe der zehn Preisanwärter auch wieder gut bestehen, das Panoptikum mutiger Konzepte, die schon hinsichtlich professioneller Verarbeitung und stimmiger Gestaltungskompetenz vorausgewählt sind, ist reich und hält viele Überraschungen bereit.

Was dabei zunehmend auf der Strecke bleibt, ist der Haut-Gout und nicht selten auch Eleganz, wovon wir immerhin dank der Modeschauen großer Häuser noch etwas verwöhnt sind, obwohl auch da in Grenzgängen Eigentümlichkeiten mutige Geschmackserweiterungen etablieren wollen. Mit hinzutretender Hinwendung zu Streetwear, wie zum Beispiel bei dem Wettbewerbssieger Dolev Elron, wird diese Schwelle von vornherein niedriger angelegt, und wenn man dann noch die amerikanische Alltagsgeschmackskultur der Streetwear als leitende Perspektive nimmt, ist die Abwendung von einer herkömmlich gepflegten, eleganten Kleidungsästhetik sinnfällig einprogrammiert. Das wird auch bei diesem Défilé sichtbar und letztlich ist das ja auch schon in den Ausbildungen der Modeschulen so angelegt. Dann sind solche Kollektionen wie die von Romain Bichot, Fabian Kis-Juhasz oder gerade July Mouly-Pommerol, die eher in Zwischenbereichen oszillieren, von besonderer Faszination.

Das Publikum vor Ort feiert beide Aspekte, denn es ist anders zusammengesetzt als die exclusive Klientel bei Schauen großer Häuser. Sehr kritisch ist es trotzdem – sei es aus Erfahrung oder sei es dank Schulung. Auch das ist eine Besonderheit, die das Festival in Hyères den übrigen großen Modeereignissen und -wochen voraus hat.

Romain Bichot, Belgien, Call me if you get lost
Prix le19M des métiers d’art: