Junge soziophilosophische Reflektionen zum State of the Art in der Mode. Fashionweek Berlin 2016.
Bilder + Text: Gerhard Paproth
Der Ort der Präsentation und Preisverleihung ist nobel und elegant: Im Griechischen Hof des Neuen Museums Berlin verlieh die Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie (SDBI) auch dieses Jahr wieder den European Fashion Award an junge Nachwuchsdesigner. Thema des Wettbewerbes war „Change – Visionen einer neuen Zeit“, 151 Teilnehmer waren aufgerufen und die näherten sich visionären Vorstellungen auf sehr unterschiedliche Weise, immer aber mit Reflexionen der Entwicklung in der gesellschaftlichen Gegenwart. Aus solchen Überlegungskonzepten versteht sich die Verwendung neuer Materialien und ihrer Verarbeitung, ungewöhnliche Schnitte und außergewöhnliche Oberflächen, die Ästhetik rekurriert auf Weltbetrachtung.
Eine vergleichsweise große Jury aus verschiedensten Bereichen des Modebusiness wählte sieben Gewinner aus, in der Kategorie Studierende Flora Sophie Taubner und Lars Dittrich (1. Preis), Julian Weth (2. Preis) und Aylin Tomta (3. Preis) und in der Kategorie Abschlussarbeiten Katharina Buczek (1. Preis), Agnė Alaburdaitė (2. Preis) und Rani Maria Lange (3. Platz).
Flora Sophie Taubner und Lars Dittrich (Beauty and Duty)
Die Frauenkollektion von Flora Sophie Taubner und Lars Dittrich (Beauty and Duty) – Kunsthochschule Halle Burg Giebichenstein – variiert japanische oder nachkriegsartige Assoziationen in den Schnitten, weißer Seidenbatist bzw. Satin oder Popeline-Stoffe mit erdbraunen Schürzen aus Lefa (recycelte Lederreste) und z.T. dunklen Hosen, insgesamt reduziert schlicht und nur mit Laser durchbrochene Muster in dem sonst festen Lefamaterial lockern etwas die Strenge. Die Gürtel sind aus altem Kupfer gefertigt.
Julian Weth (Ungehorsam)
Julian Weth von der Akademie JAK in Hamburg bezieht seine Interpretation seiner Männerkollektion (Ungehorsam) auf (ehemalige) Soldatenexistenz, indem er ausgemusterte Militärbekleidung dekonstruiert, das Material bearbeitet und zu neuen Konstellationen zusammensetzt. Die Reflexion bezieht sich dabei auf Haltung gegenüber aktuelle zeitgeschichtliche und soziopolitische Konstellationen.
Aylin Tomta (The Sons of Shiva)
Aylin Tomta von der Fachhochschule Bielefeld sucht mit ihrer Männerkollektion (The Sons of Shiva) nach neuen internationalen Identitäten. Die Hip-Hop-Bewegung der Immigranten und ihre Werte von Innovation, Technik und Funktionalität bestimmen den Geist der Kleidungsstücke einerseits und die Ornamente der Rabari-Kultur als geistige Bezugnahme schneidet die Modestudentin in Überwürfe aus PVC-Leder. Das ergibt eine recht bizarre Kombination – sowohl gedanklich als auch ästhetisch.
Katharina Buczek (Bad News)
Bei den Masterabsolventen präsentiert Katharina Buczek von der Royal Danish Academy of Fine Arts eine Kollektion (Bad News) als Vorstellung einer Hyperrealität, die das Modesystem mit seinen Hypes hinterfragen will. Vorwiegend als Männerkleidung angelegt sucht sie durch Kombination verschiedener Ausprägungen eine neue Sicht aufs Ganze zu gewinnen. Sowohl in der Materialität (z. B. Stoffe vs. PVC) als auch in der Funktionalität (z. B. Arbeit – Anzug – Motorrad), den Oberflächen und vielem mehr sucht sie so etwas wie eine modische Metaebene. Nicht nur gedanklich reflektiert sie damit Mode, sondern praktisch erinnert das auch sehr an die ständigen Rückgriffe auf Dagewesenes, die die gegenwärtigen Modeströmungen prägen. Ästhetisch allerdings entsteht daraus kein überzeugend stimmiges Gesamtkonstrukt.
Rani Maria Lange (Über Funktion)
Rani Maria Lange, ebenfalls von der Fachhochschule Bielefeld, konzentriert sich ebenfalls auf eine Männerkollektion (Über Funktion), die die Funktionalität aus dem Geiste der Bauhausmaxime neu befragt. Mit funktionalen Stoffen versucht sie die Funktionalität von Kleidung im Zusammenhang mit dem Identitätsanspruch ihres Trägers zu kombinieren und mit handwerklicher Nähkunst eine Gegenposition zu Verschwendungskultur zu entwerfen.
Agné Alarburditè (Division by Zero)
Am besten gefiel uns die Unisex Kollektion (Division by Zero) von Agné Alarburditè aus Den Haag, weil hier der ästhetische Anspruch nicht den philosophischen Leitgedanken untergeordnet wurde. Auch wenn hinter den Schnitten und Bearbeitungen auf digitale Mechanismen und Berechnung reflektiert wird und sich die Strukturen und Formen der Teile zum Beispiel aus entsprechenden Einschnitten in Rechtecke ergeben, bleibt doch die ästhetische Auffassung für die Gestaltung offensichtlich dominierend. Lust am Raffinement in Schnitt, Oberflächen und Mustern bestimmen die vielseitigen und durchdachten Experimente und zeugen auch von recht ausgereiftem Geschmack. Interessant zeigt sich darüber hinaus die sehr verschiedene Wirkung der Teile in Abhängigkeit vom Geschlecht ihrer Träger.
Agné Alarburditè war unsere heimlicher Siegerin, aber die Liste der Beurteilungskriterien führte dann doch zu anderen Schwerpunkten bei der Juryentscheidung. Die Kriterien konnten wir allerdings nicht in Erfahrung bringen, es wäre aber durchaus interessant gewesen, wo die Branche damit ihre Schwerpunkte setzt, die sie mit der thematischen Vorgabe ja auch auf die Zukunft projiziert.