FW AW 2017, Esther Perbandt in der Volksbühne
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Boris Marberg
Auch wenn die Einschätzung verfrüht erscheint, die Schau von Esther Perbandt in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz ist sicher das Highlight der aktuellen Fashionweek. Das Anliegen, Mode in einen größeren kulturellen Zusammenhang zu stellen und mit dem vorgeführten Konzept auch philosophisch aufzuladen, geht weit über die Selbstgenügsamkeit der meisten Schauen hinaus.
Der Saal war bis auf den letzten Platz gefüllt und es wurde schnell klar, das hier nicht nur modeaffines Publikum zugegen war. Esther Perbandt und ihre Kreationen sind ein sehr berlinerisches Phänomen und entsprechend in der Kultur-Szene verwurzelt.
Die Künstlerin nutzte die Theaterbühne auch mit dem entsprechenden Bewusstsein: Choreografie, Bühnenbild, Tanz, Darstellung, Musik, Lichtführung, Dramaturgie, Bühnentechnik – alles wurde bedacht und alles floss in einem zeitgemäßen und sinnstiftenden Konzept einer Aufführung schlüssig zusammen. Damit fand auch die Rolle der Mode zu einem gesamtkulturellen Bezug in unserer Gesellschaft. Und sogar auch zu Berlin, das diese Idee kultureller Relevanz von Mode ja nicht unbedingt verkörpert.
Auf der Drehbühne befanden sich die Fotografen hinten, also gegenüber dem Publikum, arrangiert wie ein klickender, griechischer Chor. Zentral und quer eine schwarze Mauer aus großen Steinblöcken mit Öffnung in der Mitte und große Rudimente von griechischen Säulen davor. Vorne links ein Streichquartett, rechts ein Elektronikmusiker, in der Mitte ein breiter Weg, der auch als Laufsteg diente. Die Modelle/Darsteller breiteten sich aber auch über den Bühnenraum (und das Bühnenbild) aus und der klassische Catwalk ging über in theatralische Aktionen und zog sich wieder zu Gruppen zusammen. Rund 40 Minuten dauerte die Aufführung, am Schluss schneite es und die Bühne begann sich einmal komplett zu drehen, womit der ganze Zirkus plötzlich wie auf einer Insel erschien und die Perspektiven neu relativierte. Auch ein Sinnbild für Theater-Welt. Überhaupt war die gesamte Schau von vielen selbstbezogenen Fragestellungen und philosophischen Gedanken geprägt, ohne dabei grobe Muster in den Raum zu stellen.
Schwarz ist Perbandts Schlüsselfarbe, die hier aber nicht nur für Nihilismus steht, sondern eher für den Mythos in der Dunkelheit. Und wie in der monochromen Kunst erweist sich Schwarz als faszinierend facettenreich. Alles ist in den Bekleidungen dualistisch gedacht und gemacht und folgt durchgehend einer dialektischen Betrachtungsweise, harte und weiche Stoffe, strenge Schnitte und verspielte Applikationen, Schlichtes und Komplexes, rau und glatt, schillernd und matt, dicht und aufgebrochen, schwarz und weiß (oder Haut bzw. Nicht-Schwarz), gemustert (Karo) und nicht gemustert, ausladend und zurückgenommen, streng und aufgelöst, symmetrisch und asymmetrisch, verschnürt und locker, beständig und unbeständig. Männlich – weiblich – androgyn. Es mündet immer in einem Ganzen.
Darüber hinaus trifft das Dekonstruktivistische der Westkultur (zerschnittene Formen, die wieder anders zusammengefügt werden) auf japanische Ästhetik des Ganzheitlichen (Kimonos, Obis bzw. Schärpen, Stoffstreifen), griechische Basics und moderne Experimente (undurchschaubare Konstruktionen aus Bändern, Bahnen und Teilen). Alles fließt dabei stets zu einer Synthese zusammen, die dann eine ganzheitliche Bekleidungsvariante hervorbringt und auch mit allen anderen Varianten korrespondiert. Alle Aspekte schließen sich stets in Ganzheitlichem zusammen (auch Kleidungsstücke, Röcke, Hosen, Mäntel etc.) lösen sich dann im Ganzen auf). Damit hat Perbandt nicht nur einen Stil kreiert, sondern auch eine Haltung visualisiert – das ist eigentlich das beste, was Mode hervorbringen kann.
Diese Haltung ist hier eindeutig kulturelles Bewusstsein und gedankliche Durchdringung.
Der Dialektik der Kleidung folgte auch das Ganze der Inszenierung, klassische Streichmusik und elektronische Sounds, Ruhe und Dramatik, Mensch und Schatten, bewegt und still, ernst und verspielt verschmolzen zu einem orchestrierten Ganzen. Der Dualismen ließen sich noch viele weitere hinzufügen. Insgesamt evozierte die Aufführung sehr viele kulturgeschichtliche Assoziationen, philosophische Gedanken und spielerische Konfrontationen.
Interessant ist auch, dass die Sicht auf die Aufführung ebenfalls dualistisch angelegt war: Das Publikum sah eine theatralische Performance mit der Kleidung, die Fotografen hauptsächlich die Kleiderkonzepte wie auf einem Laufsteg, wenn auch mit brechenden Lichteffekten.
Gleichzeitig ist die Vorführung – nicht zuletzt durch das Schwarz und die choreografierte Dramatik auch mystisch. Die Darbietung bekommt kultische Wirkung, und die Kleidung macht den Menschen darin zu einem Teil der geheimnisvollen Bedeutung(en). Und zu ihrem Repräsentanten.
Viele Anhänger der Esther Perbandt – Mode waren im Publikum vertreten und in ihrer Nähe hatte man das Gefühl, sie wären zu einer Kultveranstaltung gekommen. Das, muss man abschließend sagen, ist faszinierend, denn dieser Kult hat, im Gegensatz zu anderen Modekults, durchaus philosophisches und gedankliches Potential genau auf der Höhe der Zeit. Bekleidung und Mode in diesem Sinne zu nutzen bzw. zu adaptieren ist eine konsequentere Haltung als irgendwelchen hippen Strömungen zu folgen.
Blogger gab es anscheinend auch nicht viele im Publikum.