Berlin Fashion Week SS2025 – Kabbalah Centre
Text & Bilder: Boris Marberg für BFW
Die Präsentation von Irina Dzhus‘ neuer Kollektion regt dazu an, sich mit grundsätzlichen Fragen auseinanderzusetzen, die sich mit dem Werk, dem zu vermittelnden Inhalt, der Künstlerin selbst und dem gesellschaftlichen Umfeld, in welchem diese Kunst stattfindet, aufkommen.
In Bezug auf das modische Werk folgt die Kollektion technisch, wie auch in Bezug auf die reine Präsentation, dem Muster der vorangegangenen Kollektionen. Das Grundkonzept der Wandelbarkeit und Veränderung der Looks während der Präsentation ist das modische Wesensmerkmal. Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist Irina Dzhus in Berlin angekommen. Die Heimat verlassen zu müssen hat selbstverständlich einen großen emotionalen Einfluss auf das Wirken der Künstlerin. Ihrer Linie ist sie gestalterisch und technisch indes treu geblieben, eine Zäsur zu ihrer Mode vor 2022 ist nicht sichtbar.
Betrachtet man den gesamten Kontext – also Künstlerin, Werk und Rahmenbedingungen – wird klar, dass das Werk von Irina Dzhus weiter als die eigentliche Modeschöpfung gehen soll und die Kleider im Zusammenspiel mit der Performance als Gesamtwerk zu betrachten sind. Dies wird insbesondre deutlich, wenn man berücksichtigt, dass das gesprochene Worte während der Performance, wie auch alle anderen Texte die zur Verfügung gestellt werden, mit zu berücksichtigen sind (Pressemitteilungen, Blogeinträge auf der Homepage, Beschreibungen von Kooperationen, Interviews u.a.). Was Irina Dzhus während der Performance gesprochen hat, stand nur in der Muttersprache zur Verfügung und ist damit an das entsprechend sprachkundige Publikum gerichtet.
Inhaltlich soll die Kollektion und die Performance eine Auseinandersetzung mit Utopie-Gedanken sein und sich mit kollektiven, spirituellen und emotionalen Quellen für utopische Sehnsüchte, wie zum Beispiel Heimat auseinandersetzen. Zurückgegriffen wird auf jüdische Mystik und Zahlenmystik, die als „Kabbala“ allgemein aus einer esoterischen, theosophisch motivierten Bewegung stammt.
Neben dem Tierschutz als Grundthema, der sich in Dzhus Werk immer wieder als Anliegen findet, kann man das Thema „Heimat“ sehr wohl auch als eine Reflektion der individuellen Situation der Designerin sehen, die ihr künstlerisches Wirken nun außerhalb der Ukraine praktiziert. Sie steht, nach eigener Auskunft, in einem Prozess der Bewältigung persönlicher Traumata. Betitelt wurde die Kollektion mit dem Begriff „Anticon“, der überwiegend für „anti-conventional“, beziehungsweise „anti-conformity“ im Amerikanischen verwendet wird. Der Titel kann entsprechend als widersprüchlich zu der der Kollektion zugrundeliegenden Idee einer kollektiven Utopie gesehen werden. Sich und sein Wirken so zu verstehen, dass man eine Position gegen Konventionen und Konformität bezieht, ist heutzutage in unserer pluralistisch bis hin zur von Beliebigkeit geprägten Gesellschaft nichts Besonderes mehr. In der vielfach als wertkonservativer wahrgenommenen Ukraine mag der sozio-kulturelle Kontext anders interpretierbar sein.
Hinsichtlich der gebotenen Performance erscheinen die vielen symbolischen und textgeprägten Elemente, die Aktion und die Zeichen, für hiesiges Publikum in vielem unverständlich. Der zur Verfügung gestellte Pressetext (nur für die Presse) dazu holt in viele Richtungen erklärend aus, um trotzdem wesentliche Aspekte der Performance am gewählten Ort verständlich zu machen. Das betrifft über die oben beschriebene Konstellation hinaus auch religiöse Verweise und den Bezug zur Kabbala – was wir hier nicht alles wiederholen wollen.
Unsere Gesellschaft hat sich dazu entschieden, Künstlerinnen und Künstlern aus der Ukraine Möglichkeiten zu bieten, ihr Wirken und Werk weiterzuführen und aufrecht zu erhalten. Dabei spielt der Gedanke eine Rolle, dass die kulturelle Identität der ukrainischen Gesellschaft gesichert werden soll, dass Räume für die Weiterentwicklung entstehen, um in Zukunft in der Ukraine Anknüpfungspunkte zu ermöglichen, so dass Protagonisten dort wieder fortgesetzt tätig sein können. Dies wird unter anderem finanziell vom Senat Berlin gefördert und Irina Dzhus ist eine der geförderten Künstlerinnen.