Die Zeitmagazin & Vogue Konferenz: The Relevance of Fashion

Die Zeitmagazin & Vogue Konferenz: The Relevance of Fashion

FW Berlin AW2018

 

Text: Gerhard Paproth

Bild: Ophelia Beckmann (Gastfotografin)

 

Diese Veranstaltung ist eine sehr fruchtbare und kluge Einrichtung aus mehreren Gründen, hauptsächlich aber deswegen, weil Mode als gesellschaftlich durchaus relevantes Phänomen sich hier selbst reflektiert und befragt – und das offen und kritisch. Der Modeindustrie (inklusive der sie vertretenden Lifestyle-Medien) damit auch mehr Ernsthaftigkeit auf den Weg zu geben und in dem Zuge gesellschaftspolitische Akzeptanz einzufordern, macht, so zeigen die durchaus anspruchsvollen Konferenzgespräche, Sinn.

„Relevance of Fashion“ lautete sinnvollerweise der thematische Rahmen der Podiumsgespräche mit Vertretern aus der Branche, der Gesellschaftswissenschaften und der Medien. Mode ist der „visuelle Dialog der Gesellschaft“ (Tillmann Prüfer) und darum wächst den Modeunternehmen mehr gesellschaftliche Verantwortung zu, als gemeinhin vermutet.

Als Hauptproblem stand die Überhitzung der Trends und ihrer raschen, konkurrierenden Folge im Zentrum der meisten Gespräche. Im Wesentlichen mahnten die Teilnehmer mehr Bedachtsamkeit und Konzentration auf Wesentliches an.

Schon die Einleitung von Tillmann Prüfer, Zeitmagazin, stellt eine Reihe von losen, aber klugen Thesen in den Raum, die über die ganze Konferenz hinweg immer wieder den gedanklichen Kontext bestimmen:

  • Öfter mal Nein sagen,
  • Begrenzt die Limited Editions (Stichwort marketing move)
  • Rettet die Designer (nicht überfordern!)
  • Hört auf zu personalisieren,
  • Seid anders als Amazon (Kleidung soll berühren!, Nicht nur um Geld kümmern!)
  • Seid unvernünftig
  • Denkt nicht an morgen (denkt an übermorgen!)
  • Regt euch nicht über Influencer auf (sie sind sehr nett!)
  • Blogger/Influencer lösen nicht unsere Probleme (eher machen die Jungen ja erfahrungsgemäß Probleme statt welche zu lösen!)

Damit ist bereits ein schöner Abriss der aktuellen Lage der Mode in der Gesellschaft gedacht und vorgelegt.

In den nachfolgenden Podiumsgesprächen werden verschiedene dieser Thesen ausgeführt und beleuchtet, vier greifen wir einmal heraus. Linda Loppa (Adviser Strategy & Vision, Polimoda) beispielsweise fordert eine Humanisierung des Modebewusstseins ein, mehr Instinkt und Intuition und Zielvorstellung („wie können wir heute glücklich sein?“) – weniger überdrehte Erscheinungen (Anti-Hype). Dabei sollten wir die Eigenwahrnehmung nutzen, anstatt uns überrollen und ablenken zu lassen. Wir, so sagt Linda Loppa, sollten als Modemacher uns klar darüber sein, was wir ausdrücken wollen, Verantwortung gegenüber Jugendlichen wahrnehmen, und mehr miteinander reden. Und aus der anderen Perspektive bewusster konsumieren, uns mehr Zeit für Auseinandersetzung und Gewöhnung nehmen.

Eine ähnliche Haltung vertritt der Designer und Firmengründer Brunetto Cucinelli (Modeunternehmer), „benutzen statt konsumieren“, beherrschen und kontrollieren sollte der Mensch. An Beispielen aus seinem Werdegang zeigt er mehrfach und unterhaltsam auf, dass die Lebensphilosophie darin bestehen sollte, „das Geheimnis des Lebens als Interesse zu bewahren“, Lebensqualität in der Balance zu suchen und respektvoll mit der Würde der Erde umzugehen. Als Modeunternehmer sucht er das zu verwirklichen.

Eine eher kontroverse Sicht leuchtet bei dem Gespräch mit Armando Branchini (Fondazione Altagamma) und Scott Lipinski (Geschäftsführer, Fashion Council Germany) auf, in dem Sinne, dass die Produktionsbedingungen und die schnelle technologische, innovative Entwicklung den Modemarkt beschleunigen. Denzufolge sind die Modemacher und Unternehmen gefordert, dieser Entwicklung zu folgen, um in der Zeit zu bleiben. Und um in der Konkurrenz zu bestehen, deren Kampf sich zunehmend auch im Internet abspielt.

Ausgehend von der Auseinandersetzung Birkenstock vs. Amazon erläutert Oliver Reichert (CEO Birkenstock Group) die Wirksamkeit der Algorithmen amerikanischer Großvertriebe auf den Markt. Ein großes Spiel und Platz für Schindluder: „Big Data“ repräsentiert demnach nicht das intuitive Konsumverhalten, sondern manipuliert. Streetwear überhitzt sich mit Halbfertigkeiten und gelangt nur zu Mittelmäßigkeit. Davor gilt es sich zu schützen, nicht nur seitens der Branchenunternehmen und der Verbraucher, sondern die Politik ist gefordert, zu dieser virtuellen Manipulationsmaschine endlich Stellung zu beziehen.

Insgesamt wird deutlich, dass die einleitenden neun Thesen von Tillmann Prüfer sich bei komplexerer Betrachtung bestätigen und eine Bremsung der Überhitzung zugunsten größerer Lebensqualität und Selbstverwirklichung notwendig ist. Und dass dabei die Modeindustrie in ihrem eigenen Interesse gefordert ist, zur Selbstbesinnung zu kommen und gemeinschaftlich qualitativ solidere Ausdrucksqualitäten anzustreben. Dies eben nicht nur im eigenen kommerziellen Interesse, sondern als eine gesellschaftliche Verantwortung, deren Verlust wir im überhitzten Moderummel beobachten.

Als Konsequenz überrascht diese Einsicht durchaus, denn gesellschaftskritische Selbstbefragung (und -verantwortung) ist in der Industrie ja eher selten zu bemerken. Wir Konsumenten beobachten täglich eher den verantwortungslosen Trend – und wenn die Zeitmagazin & Vogue Konferenz bzw. ihre Teilnehmer es schaffen sollten, nicht nur den Stand der Dinge aufzuzeigen, sondern die Entwicklung zumindest in der Branche überzeugend zu beeinflussen, wäre viel gewonnen.