Damur Huang : Ästhetik war gestern

Damur Huang : Ästhetik war gestern

Atelierbesuch Berlin Kreuzberg, Herbst 2018

 

Text, Bilder und Interview: Gerhard Paproth

 

Geplant war ein Atelierbesuch, aber es gab gar kein solches im herkömmlichen Verständnis. Das Atelier von Damur Huang ist ein Office, Showroom und Besprechungsraum in Kombination, und damit ist im Grunde das Interesse am Designprozess schon ungewöhnlich beantwortet: Damurs Mode versteht sich in erster Linie als eine zeitgemäße Businessunternehmung, das Produkt Mode wird als Kommunikationsträger betrachtet und der kreative Gestaltungsakt vollzieht sich vornehmlich als Prozess on the fly. Auch der Ort mitten in Kreuzberg ist einerseits eine Situierung im sozialen Kontext – und von daher kulturell inspiriert, andererseits ist er gleichzeitig auch autonom im geschäftlichen und gestalterischen Tun am Laptop. Drei Mitarbeiter sitzen an dem zentralen Tisch in dem eher kleinen Ladenlokal an ihren Laptops – Stoffrollen, Nähmaschinen, Zeichnungen, Werkzeuge, Schneiderpuppen, Unikate und Prototypen, all das gibt es hier nicht mehr.

 

Damur Huang : Ästhetik war gestern
Dabei hatte Shih-Shun Huang seinen Weg zum Designer durchaus auf klassischem Weg über verschiedene Mode-Ausbildungsstätten in Belgien, Frankreich und anderswo beschritten, doch seit der Selbständigkeit des Labels vor ca. drei Jahren ist die künstlerische Ambition dem Geschäftlichen nachgeordnet, sie ist nur noch ein konzeptuelles Bestandteil. Schon vor der ersten Frage stellt der gesprächige Designer klar, dass die medialen Erwartungen mit romantischen Vorstellungen vom kreativ-gestalterischen Prozess und von ästhetisch geprägter künstlerischer Arbeit bei ihm an falscher Adresse sind, was aber nicht bedeutet, dass dem keine kulturbezogene Philosophie zugrunde liegt.

Damur Huang : Ästhetik war gestern
Ästhetische Kriterien sind für den Designer ein unzeitgemäßer Ansatz, Kulturgeschichte bestünde eben nicht aus stets neuen Leonardo da Vincis, sondern aus zeitgemäßen, innovativen Konzepten, die sich aus sozialen Kontexten ableiteten. Die Gegenwart ist wesentlich von kommunikativen Neuerungen geprägt und Damurs Gestaltung von Kleidung soll genau das reflektieren und im besten Fall Teil dieses interaktiven Austausches sein. Und die verschiedenen Aspekte dieses Phänomens liefern die Leitgedanken für seine jeweilige Kollektion.

Die letzte Kollektion war vom Hashtag # geprägt, das Kennzeichen für kurze Mitteilungen und Austausch, an dem jeder beteiligt ist und das demokratisch jedem Individuum Platz für seine Selbstdarstellung bereitstellt. Überhaupt versteht Damur Kleidung als Teil der Selbstdarstellung, aber er liefert dafür keine Interpretationsoptionen, sondern die Dokumentation dieser Beobachtung, in der man sich positionieren kann. Und darum steht für ihn zwar das Individuum im Focus, aber nicht seine Individualität. Seine Mode ist Ausdruck der Identifikation mit der gelebten (und geliebten) Gegenwart.

Das Handwerkszeug der Gestaltung – Farbe, Form, Material etc. verliert seine ursprünglichen Anwendungskonnotationen und steht für anderes zur Verfügung. Denim zum Beispiel ist ein bevorzugter Stoff, der sich mittlerweile von seinen ursprünglichen sozialen Implikationen (Blue Jeans) völlig emanzipiert hat und bis hin zu Chanel-Kollektionen zum Allerweltsgut geworden ist: ein Signum für pluralistische Aneignung bei gleichzeitigem Konnotationsverlust. In Kombination mit anderen Stoffen relativiert sich deswegen die Kontrasthaftigkeit auf allgemeingültigen Konsens. Denim erhält eine neue, konsensuelle Wertigkeit, die unsere (Groß-)Mütter, die Blue Jeans bügeln wollten (mit Bügelfalte!), angestrebt aber nicht erreicht haben.

Damur schätzt Kontraste. Die werden zwar bei seiner Kleidung in Farbigkeit und Formgebung sichtbar, sind aber ebenfalls eher als gesellschaftliche Statements verstanden und angelegt, quasi der nonverbale Ausdruck des kommunikativen Miteinanders und Gegeneinanders. Das Erscheinungsbild eines Damur-Outfits soll im Kontrast zu allen anderen Outfits der Umgebung stehen und damit unsere Umwelt um eine Position reicher machen. Auch in sich sind viele Stücke gegensätzlich, vorne und hinten sind wie zwei unterschiedliche Seiten einer Medaille, was vorne die üblichen Insignien eines Anzugs aufweist, kann hinten die eines Trenchcoats haben oder einen derb formulierten Hashtag ins Auge springen lassen. Die Codes werden neu aufgemischt.

 

Damur Huang : Ästhetik war gestern

Damur Huang : Ästhetik war gestern

Damur Huang : Ästhetik war gestern

Damur Huang : Ästhetik war gestern

 

modaCYCLE: Shih-Shun Huang, Sie sagen, Sie arbeiten nicht mehr im klassischen, künstlerisch geprägten Atelier-Verfahren.

Damur: Infolge meiner Universitätsausbildung habe ich mehrere Jahre als Künstler im Fine-Art-Bereich gearbeitet. Aber mit dem Eintritt in das Design-Business hat sich die Herangehensweise geändert. Wenn man ein tolles Stück auf künstlerische Weise gemacht hat und dann feststellen muss,dass es schwer zu verkaufen ist, ändert sich die Sicht und die Lage. Mit der Gründung einer GmbH hier in Deutschland geht es zuerst darum, dass die Unternehmung überleben kann. Man muss sich um Herstellungsqualitäten kümmern, viel Zeit in Muster und Nähen für Varianten einer Kollektion investieren. Und hauptsächlich um die Vermarktung.

modaCYCLE: War der künstlerische Leitgedanke nicht der entscheidende Grund um in dieses Business zu gehen?

Damur: Nun, ja und nein, letztlich ist, wenn man sich für einen Künstler hält, alles, was man täglich als Modedesigner so macht, künstlerische Arbeit. Dafür muss man nicht etwas kreieren. Zum Beispiel muß man sein Produkt marktgerecht aufbereiten, so dass die Leute daran glauben können, also eine Geschichte dazu erzählen, das muss man auf verschiedene Teile übertragen (T-Shirt, Hose etc.), Kosten berechnen und Preise zuordnen, und das ist dann eben nicht mehr „Kunst“, sondern ein Business.
Man muss sicherstellen, dass die Investitionen wieder hereinkommen und das ganze funktioniert. Es stellt sich heraus, dass es Geschäft ist.

modaCYCLE: Wenn Designer den Medien erklären, es geht nicht wirklich um kreative Gestaltung, sondern um das Geschäft, würden dann nicht alle Modemagazine dicht machen müssen? Wir interessieren uns jedenfalls zentral für den künstlerischen Impact von Modedesign, zum Beispiel die Zeitbezogenheit der gestalterischen Ideenansätze.

Damur: Nun, was wir als „Serien“ mit den saisonalen Kollektionen herausbringen, ist zwangsläufig zeitbezogen. Denn wir betrachten unsere Kreationen, unsere Produkte als dokumentarisch. Wir bedienen uns bestimmter, aktueller Symbole, wie zum Beispiel des Hashtags, die dann die Gestaltung bestimmen. Das steht für die Art moderner Kommunikation. Mit den Farbkombinationen können wir zum Beispiel auch eine Genderposition formulieren. Was in den Social Media aktuell verhandelt wird, wie auch die #metoo-Debatte, soll sich in unseren Produkten wiederspiegeln. Wer sie trägt, demonstriert seiner Umwelt damit seine Teilhabe.

modaCYCLE: Die Unisex-Kreationen in Ihren Kollektionen spiegeln also in erster Linie eine gesellschaftliche Idee und eher nicht eine individuelle Position.

Damur: Ja, die Persönlichkeit definiert sich mit der persönlichen Wahl. Das Feld der Angebote ist groß, darin wählt man. Auf Instagram manifestiert sich die Bildung der Positionen mit den Likes, die man bekommt oder nicht. Gleichzeitig ist das ein Echo zu der Welt, in der ich lebe.

modaCYCLE: Die Widerspiegelung der Zeit, in der ich lebe, ist aber noch kein persönlicher Ausdruck.

Damur: Ich finde es interessant, wie Menschen sich austauschen. Mode ist Teil dieses Austausches.

modaCYCLE: So lange wie eine individuelle Haltung nicht die Grundlage ist, sondern nur übernommene Positionen – also was alle denken – die Interaktion bestimmen, inwieweit kann Mode, die das sichtbar machen soll, da etwas Besonderes ausdrücken?

Damur: Ich zeige Positionen und vor allem zeige ich das Austauschprinzip, mit dem diese jüngere Generation aufwächst und sich identifiziert. Instagram ist wichtiger Teil ihres Lebens. Und ich bediene mich dieses Prinzips. Man trägt es am Körper. Es ist, wie gesagt, ein Reflex auf die Welt, in der wir leben, so wie ich das Thema visuell übertrage.
In der nächsten Saison ist dann ein anderes Gegenwartsphänomen Thema. Es geht um die Oberflächenerscheinung von bestimmten Kleidungsstücken. Zum Beispiel des Trenchcoats, der bei uns verschiedene Kleidungsstücke im Mix in sich vereinigt. Es geht um die Rollen, die man anläßlich verschiedener Gelegenheiten vorführt. Ist es ein Kleid oder ist es ein Hemd?
Angesichts verschiedener Fragenen in Politik (z.B. Brexit) und Gesellschaft stellt sich permanent die Forderung nach einer Entscheidung. Fake News in den Social Media demonstrieren uns dauernd „richtig“ oder „falsch“, auch das kennzeichnet unsere Gegenwart. Und Mode reflektiert unsere Zeit, da zu sein, im Moment als Mensch, der bestehen muss.

modaCYCLE: Sie sagten einmal, Denim sei ein soziales Statement.

Damur: Ja, man findet Denim jetzt überall, auch bei Chanel. Es ist wie früher Jersey, man findet es überall in der Gesellschaft. Es ist jetzt ein historisches Textil.

modaCYCLE: „Wear it loud“ als Ausdruck expressiver Modehaltung ist ein Statement von Damur.

Damur: Loud ist ein Haltung der Jugend und ist hier als das Gegenteil von Invisible zu verstehen. Die Leute wollen gesehen werden, auch als Teil einer Gruppe. Und man kann die Signifikanz ausserhalb des Üblichen wählen, mit der man wahrgenommen wird. Klassische Ästhetik – wie häßlich und schön, tragbar und unmöglich – so wie unsere Kunstprofessoren das aus überkommender Philosophie (da Vinci wäre sowieso schwer zu erreichen…) übernommen haben, spielt eigentlich keine Rolle mehr. Das Ästhetische ist eine Idee der Vergangenheit.

modaCYCLE: Denken Sie, die Vorstellung von Schönheit ist nicht mehr eine allgemeine, sondern jetzt eine individuelle Angelegenheit?

Damur: Meine Mama rief manchmal aus „das ist ja so häßlich!“ wenn ich mir was ausgesucht hatte, aber wir haben jetzt eine andere Zeit. Die hat andere Maßstäbe. Sachen, die ich mache, folgen anderen Leitgedanken. Wir reden nicht von Balance der Materialien, der Farben, von Symmetrie und so weiter. Wir wollen nicht schöne Farben oder so. Die Entscheidungen werden auf anderer Ebene getroffen. Kontraste sind da schon wichtiger, in allem. Das hat mit dem allgemeinen Anliegen zu tun, aber für mich persönlich waren Kontraste schon immer meine Leidenschaft.

 

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