FW aw2018, Berlin-Paris
Text & Interview: Gerhard Paproth
Fotos: Rafael Poschmann (Gastbeitrag)
In dieser Saison verzichtete Brachmann auf Teilnahme an der Fashionweek Berlin mit einer Schau und entschied sich stattdessen für eine einfache Präsentation in einem Showroom zusammen mit anderen Designern in Paris. Publizistisch interessieren wir uns ja weniger für modeindustrielle Konstellationen, aber diese Entscheidung bewog uns nun doch, ausnahmsweise einmal einen Blick auf die Strategie des Auftretens eines Labels zu richten und damit die Berliner Fashionweek aus wirtschaftlicher Perspektive der Designer in größerem Kontext zu beleuchten. Und die Frage zu stellen, welche Rolle Paris dabei (immer noch) spielt.
Brachmann stellt mit der Pariser Präsentation auch eine Hinwendung zum Ausbau einer eigenen Frauenkollektion vor. Das ist ästhetisch eher eine Überraschung insofern, als ihre Männerkollektionen eine männlich-strenge Gestaltkonzeption haben, die eine weibliche Ausstrahlung eher auszuschließen scheint. Wie sich da gestalterische Überlegungen und Verfahren als stilistische Übertragung definieren und wie so das leitende Prinzip ihrer saisonalen Kollektion entsteht, erklären uns Jennifer Brachmann und Olaf Kranz detaillierter im Interview.
modaCYCLE: Diese Saison konnte man die aktuelle Brachmann-Kollektion nicht in Berlin sehen, stattdessen wurde sie in Paris präsentiert. Gibt es Gründe dafür, die in eine neue Richtung weisen?
Brachmann: Leider konnten wir diese Saison unsere neue Kollektion nicht wieder in Berlin präsentieren, weil die zeitliche Überschneidung mit der Paris Fashion Week Men & Pre-collections Women einfach zu groß war. Die für uns relevanten Einkäufer, auch die deutschen, sind nicht in Berlin, sondern eben in Paris. Paris war, ist und bleibt in der Mode das Maß aller Dinge. Oder wie Werner Sombart, eine deutscher Nationalökonom am Anfang des 20. Jahrhunderts einmal sagte: Paris ist die „Centralsonne“ für die Modewelt.
modaCYCLE: Junge deutsche Modelabels versuchen gerne, im Pariser Modegetriebe einen Platz zu finden. Was macht dieses Streben so attraktiv? Mehr Anerkennung, besserer Markt oder der Sprung auf die internationale Bühne?
Brachmann: Die Berliner Korrespondentin der Womens Wear Daily, Melissa Drier, hat kürzlich in einem Artikel für den TIP-Berlin über die Modestadt Berlin gesagt, dass es in Berlin nicht an Talenten von internationalem Rang mangelt, dass aber das Problem der Berliner Designer ist, dass sowohl die deutschen Kunden als auch die deutschen Einkäufer sich nicht für deutsche Mode interessieren, wenn sie sich überhaupt für Mode interessieren. Das entspricht auch unserer Erfahrung, von Ausnahmen einmal abgesehen. Daher ist das klassische Wachstumsmodell für deutsche Mode-Label kaum begehbar, also erst einmal den Heimatmarkt aufrollen, bevor man Schritt für Schritt in ausländischen Märkten Fuß fasst. In der Mode muss man nach Paris gehen, um hier internationale Einkäufer von seinen Kollektionen zu überzeugen, um überhaupt in den Markt zu kommen. Erst wenn man im Ausland Erfolg hat, wird man auch von deutschen Einkäufern und Kunden wahrgenommen. Aber letztlich ist es auch für Labels anderer Länder fast unumgänglich, nach Paris zu kommen. Die Londoner Labels zeigen zwar in London, verkaufen aber in Paris. Die us-amerikanischen gehen zunehmend nach Paris, weil der amerikanische Heimatmarkt schwierig ist. Paris ist die Centralsonne der Mode für alle.
modaCYCLE: Die aktuelle Brachmann-Kollektion – folgt sie einer thematischen oder ästhetischen Leitidee? Was ist neu? Spielt Frauenbekleidung jetzt eine größere Rolle?
Brachmann: Nachdem wir in der Sommerkollektion mit großer Resonanz unsere erste Frauenkollektion vorgestellt haben, haben wir entschieden, mit der Frauenkollektion weiter zu machen. Dabei standen wir vor der Frage, wie wir unsere Label-Design-DNA für die Frauenkollektion übersetzen. Wir kommen ja von der Idee, Menswear-Klassiker durch die Übersetzung von Architekturmethoden in die Mode in Schnitt, Form, Silhouette und Detail zu modernisieren.Das bleibt auch unser Ansatz für die Menswear. Für die Frauenkollektion gibt es aber zwei Möglichkeiten. Designen wir von unseren post-klassischen Menswearstücken inspirierte Womenswear oder modernisieren wir die Klassiker der Womenswear durch die Übersetzung von Architekturmethoden in die Mode in Schnitt, Form, Silhouette und Detail? Unsere Antwort lautet: Sowohl als auch! Das bedeutet, dass wir uns nicht allein auf menwearinspired Womenswear beschränken, sondern auch weiblichere klassische Kleidungsstücke wie das Kleid, den Rock, die Bluse etc. dekonstruieren und dann wieder neu zusammensetzen.
Für jede Saison suchen wir uns einen Klassiker aus, der für unsere Kollektion neu ist und den wir dann in unserer Interpretation neu designen und in die Kollektion aufnehmen. In dieser Saison war es der Smoking, und zwar für Frauen und Männer. Durch Details wie skulpturale Ärmel, Falten und kunstvoll arrangierte Lagen wird die Silhouette des Smokings modernisiert und der Smoking dabei vom rein Formellen emanzipiert. Durch das Zusammenspiel von Dekonstruktion und Rekonstruktion entstehen im Prozess aber auch zugleich vom Smoking inspirierte Details und Formen, mit denen andere formale wie casuale Klassiker veredelt werden. Wie immer versuchen wir, durch die Schnittführung der Kollektion eine architekturale Anmutung zu geben und durch Layering, Nahtführung und getwistete Fadenverläufe zu betonen. Die Farbpalette ist herbstlich und reicht von sattem Bordeaux über Tintenblau bis hin zu Anthrazit, um der Kollektion Tiefe und Eleganz zu verleihen. Die mal fließenden, mal festen luxuriösen Stoffe aus Naturfasern (leichte Merinowollen, Baumwolle, Seidengemische, gestrickte Baumwolle, strukturierte Schurwolle) zusammen mit der makellosen handwerklichen Verarbeitung sorgen für einen hohen Tragekomfort. Mit urbanem Chic, Coolness und Minimalismus löst die Kollektion zwanglos die Grenzen zwischen formalem Dresscode und Casual auf und ermöglicht einen nahtlosen Übergang zwischen Tag und Nacht, Job und Party.