Neo.Fashion 2022 – AMD, Reinbeckhallen
Text & Bilder: Boris Marberg
Die Neo.Fashion ist als eigenständige Veranstaltungsplattform nicht mehr in Sachen Modedesign aus Berlin wegzudenken und fasst die Präsentationsmöglichkeiten einer Vielzahl von Hochschulen in Deutschland zusammen. Sie bietet dabei ein einheitliches Präsentationskonzept für deren Absolventen, wie auch einen Zugangs- und Treffpunkt mit dem Fachpublikum, welches nach dem Nachwuchs Ausschau hält.
Bereits zum sechsten Mal konnte die Veranstaltung stattfinden. Diese Saison fand in Berlin-Oberschöneweide, in den Reinbeckhallen statt. Der Ort ist fernab der Stadtmitte und damit auch räumlich offensichtlich getrennt vom übrigen Modetreiben während der Berliner Modewoche. Ein kurzes Vorbeischauen, um nach neuen Talenten zwischen den anderen Präsentationsterminen zu suchen, gestaltet sich damit während der dreitägigen Veranstaltung schwierig. Auch das Angebot Gastkollektionen von Designern, aus zum Beispiel Äthiopien in Kooperation zu präsentieren, oder Absolventen von der Nationalen Universität für Technologie und Design Kiew zuzuschalten und in einer eigenen Schau Teilnehmenden der „Ukrainian Fashion Week“ eine Plattform zu bieten, konnte die Distanz zur allgemein sehr ausgedünnten Berliner Modewoche nicht überzeugend überwinden. Die mehr als ein Duzend Schauen können deshalb als eigenständige Veranstaltungsreihe gesehen werden.
Auch die AMD Akademie Mode & Design hat im Rahmen der Neo.Fashion Absolventen die Möglichkeit geboten, ihre Abschlusskreationen einem interessierten Fachpublikum zu präsentieren. Die AMD steht dabei mit ihren fünf Standorten in Hamburg, München, Düsseldorf, Berlin und Wiesbaden und insgesamt 12 Studiengänge, die als Master oder Bachelor-Studiengänge ausgestaltet sind, bilden ein weites Spektrum um sich im Wirtschaftsbereich Mode akademisch zu positionieren. In der entsprechenden Schau präsentierten neun junge Talente ihre Entwürfe. Pascal Garcian Dyrna, Helen Eisen, Lisa Faust, Lea-Sophie Hein, Klara Kazani, Rachel Sitting, Liv-Paulina Sailer, Deniz-Can Sayim und Joyce To zeigten jeweils eine Handvoll Looks, die ein weites, kreatives Spektrum darstellten.
Liv-Paulina Sailer
Mit der Betitelung HIRAETH – Polarities of nostalgia and its influence on today‘s society trifft die junge Designerin einen nostalgischen Punkt in der zeitgenössischen Sichtweise auf Mode und die Rückbesinnung auf Formgebungen der vergangenen Jahrzehnte. Weite Schulterpatien und üppige Silhouetten zeichnen die Looks ebenso aus wie klare Brüche bei den Flächen auch durch die Farbwahl.
Lisa Faust
Die Designerin wurde noch vor ihrem Studium 2018 als beste Näherin des Ausbildungsgangs in NRW ausgezeichnet. Dass solides Handwerk hier bei der Kollektion mit dem Titel Anomalia eine große und überzeugende Rolle spielt, fällt sofort angenehm auf. Sehr schön gelingt es der Designerin wuchtige Volumen und stimmige Silhouetten umzusetzen. Farblich findet sich ein klarer Roter Faden im Konzept, der auch visuell in den Looks zu finden ist. Bis zu den Schuhen ist die Abschlusskollektion durchdacht und stimmig.
Deniz-Can Sayim
Der junge Designer benennt seine Kollektion „Alman Kanacken“ und spielt damit auf Doppelidentitäten in Milieus von Menschen mit Migrationshintergrund an. Nicht angekommen sein in einer Gesellschaft und dabei eigene Werte und Normen unterdrücken nennt er als thematischen Hintergrund. Die Abschottung und Verpanzerung zeigt sich auch in den mehrsichtigen Looks, die auf grobe und feste Materialien zurückgreifen. Die Werke wirken wie in der Zeit steckengeblieben, sich lösen wollen – aber es dennoch nicht schaffen. Stabilität wird in den Raum gestellt.
Helen Eisen
Perfect Human – Der Titel wirkt etwas losgelöst von der Kollektion und konstruiert. Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Perfektion kann nicht gelingen, das Ziel könnte stattdessen die Makellosigkeit sein, die von verschiedenen Standpunkten aus betrachtet Diversität und Vielfalt ermöglicht. Geschickt wird mit Details und Flächenschichtungen gespielt. Eleganz wird aufgetragen und soll durchdringen.
Joyce To
Verspieltheit drückt sich in der Kollektion „Protagonist between earth and nowhere“ aus und setzt dies visuell durch die Wechselbeziehung von Mustern und Flächen um. Volumen und Silhouetten bleiben vergangenen Jahrzehnten verhaftet und kokettieren mit modischen Sichtweisen der Arcade-Generation der 1970er und 80er.
Klara Kazani
Schlicht „married to my body“ – ein Statement. Aus dem eigenen Körper kommt die Protagonistin nicht so leicht raus. Muss sie auch nicht. Sehr fein schafft es die Designerin ansprechende minimalistische Looks zu kreieren, die sowohl verspielt als auch tief ausdrucksvoll sind.
Lea-Sophie Hein
Konzeptionell eine der interessantesten Kollektionen im Rahmen der Gesamtveranstaltung. SKIN HUNGER “The power that touch exerts on us humans” – umfasst einen wichtigen Aspekt von Mode, das Haptische -menschliches Grundbedürfnis nach Berührung und Begegnung. Dick eingepackt und geschützt stiefeln Protagonisten durch die Zeit mit ihren Herausforderungen und wollen doch Mensch sein. Keine einfache Aufgabe, aber sie ist es wert behandelt zu werden.
Pascal Gracian Dyrna
MASC – eine tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Bild von Männern und Mode, dem Bild von sich selbst im Kontext des Zwanges der Uniformität des Maskulinen versus der gewonnen (vermeintlichen) Freiheit des Werblichen in der Mode. Die Polarität und Dualität ist schon lange im Schwanken, denn es gibt diverse andere Pole welche Anziehungskraft haben.
Rachel Sitting
Mit der Kollektion „RISS – Beauty’s Beast“ zeigte die junge Designerin ein gekonntes Spiel mit tradierten Sichtweisen auf Mode und das Weibliche. Verspielte Silhouetten und luftige Materialien suchen nach Kontrasten und finden diese.
