Berlin Fashion Week SS2026 – Palais am Funkturm
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Das Berliner Label Ottolinger der beiden Schweizerinnen Christa Bösch und Cosima Gadient focussiert sich auf die innovative Prägung dessen, was als berlintypischer Style gilt und erweist sich damit als zunehmend erfolgreich. Nun erscheinen sie erstmals auf der Fashionweek im Intervention-Programm mit dem Anliegen, sich als Szene-Label größer zu etablieren.
Das Publikum war entsprechend szenemäßig, Insider und frühe Fans des eigenwilligen Labels, das ihnen für seine subversive Energie mit dekonstruierten Silhouetten und rohen Oberflächen bekannt ist.
Der Typus einer jungen Frau, der hier bedient wird, ist nicht die Heidi aus dem Schwarzwald, sondern etwa der einer etwas unzuverlässigen Person, die mit leicht selbstherrlichem Auftritt einen etwas exzentrischen Kleidungsgeschmack vorführt, das aber wohl überlegt und mit ungewöhnlichen Akzentuierungen. Dazu gehört zum Beispier die überraschende Wahl von Stofflichkeiten, von Pants und schmalem, flachem Bandeau-Top oder verworrenes Schnittwerk, das das Ganze irgendwie zusammenhält. Nichts ist wirklich grell, weder die Farben, noch die Kontraste oder die Gesamtarchitektur, aber doch vieles ein wenig neben der erwarteten Spur. Daraus wurde ein Style entwickelt, der die Lust am leicht Verpeilten thematisiert und feiert und was viel Freiheit und Kreativität ermöglicht. Dazwischen erscheinen auch relativ konventionelle Kleider, ohne das als Kontrast spüren zu lassen. Es tauchen diverse „Schutzelemente“ auf, für’s Gesicht große Sonnenbrillen, für die Brust die erwähnten Bandeaustreifen oder als zusätzliche Gurte oben drüber, die auch sonst oft deplaziert angebracht werden. Etwas bewußt deplatziert ist einiges aber nie alles. Außerdem stets ein paar wild herumschwingende Strippen, die das frei Bewegte des Erscheinungsbilds verstärken. Gleichwohl bleibt das Dekonstruierte körpernah und sehr weiblich ausgelegt, meist, aber nicht immer. Das einzige Herrenoutfit findet auch eine geeignete männliche Note des Prinzips. Dabei sind die Grenzbereiche auch manchmal fluide. Das gilt für viele Aspekte des Konzeptes, scheinbarer Festlegung wird immer wieder mal deutlich entgegen gearbeitet.
Der Typus ist die junge Frau, die einem oft im Leben begegnet, häufiger noch im Internet, trotz vieler charakteristischer Verpeiltheiten ist sie pragmatisch, straight und selbstbewußt, mit gelegentlicher Schlampigkeit, und auf dem Laufsteg wirkt manche auch launisch dazu. In Geschmacksfragen ist sie nicht gerade anspruchsvoll aber auf jeden Fall eigen und umgibt sich auch mit einigen gefundenen Trouvaillen der ausgefallenen Sorte. Wie wir schon bei Sia Arnika anmerkten, kommt die Erscheinung der noch etwas unsteten und „unfertigen“ Generation in Berlin hier ebenfalls zum Tragen, wenn auch gestalterisch prägnanter formuliert und als selbstbewußter beschrieben. Dieser Designerinnen-Mut wird immerhin von der Fanschaft mit großer Begeisterung gefeiert und Heidi ist wohl auch als eine „berlintypische“ Kollektion zu verbuchen. Das Weitere besorgen die Influencerinnen.