Sia Arnika – Summer Time Sadness

Sia Arnika – Summer Time Sadness

Berlin Fashion Week SS2026 – Jofa Lichthaus

Text & Bilder: Boris Marberg

 

Eine funktionale Halle, weit im Berliner Osten, dunkel gehalten mit schwarzem Molton, mit ein paar von der Decke herabhängenden Neonröhren und einer US-amerikanische Stretch-Limousine waren die Kulisse für die neu vorgestellte Kollektion der in Berlin ansässigen dänischen Designerin Sia Arnika. Immer wieder hat die Designerin in der Vergangenheit als ihre Inspirationsquelle nordische Künstler und deren Werk angegeben. Diesmal wird auf Karl Ove Knausgård verwiesen, ein preisgekrönter norwegischer, zeitgenössischer Autor, der vielfach einem essayistischen und introspektiven Stil zugeordnet wird und stark autofiktional schreibt. Es geht Sia Arnika beim Modemachen also offenbar um grundlegende Befindlichkeiten, bezogen auch auf ihr gewähltes Leben in Berlin. Und um Autofiktion.

Wenn man solchen Betrachtungen Raum geben will, passt das Mittel der Autofiktion modisch durchaus zu Berlin. Die Stadt war schon oft ein Tiegel, in welchem Realität, Projektion und Fiktion künstlerisch ineinander übergegangen sind, und auch heute ist die Stadt wieder eine Plattform für die Verarbeitung der persönlichen Historie und Emotionalität, viele Protagonisten sehen sich geradezu herausgefordert, sich künstlerisch selbst zu inszenieren und in eine Fiktion des Selbst zu gleiten. Manche siedeln sich gerade deshalb in dieser Stadt an. So verschmelzen autobiografische Elemente mit fiktionalen Erzählformen, und diese werden hier als Mode oder als „Content“ in sozialen Medien kommuniziert: jeder steht im Mittelpunkt seiner eigenen Realitätsblase mit dem Wunsch nach sozialer und künstlerischer Wahrnehmung. (Die digitalen Medien unterstreichen ohnehin, dass eine Trennung von Fiktion und Realität keine echte Bedeutung mehr hat – „Das Medium ist die Botschaft“, schrieb schon 1964 der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan.)

Soweit wäre ein philosophischer Überbau denkbar, demnach wirft Sia Arnika die Frage nach der Bedeutung der eigenen Mode im Kontext „Berlin“ auf, nach der Positionierung einer recht jungen Altersgruppe. Es geht darüber hinaus um Orientierung in der Adoleszenz, das Suchen nach einem Weg von der Kindheit zum erwachsenen Sein, aber auch darum, wie das Erwachsensein mit fortschreitendem Alter an Kindheit und Jugend festzuhalten versucht. Ihr Spiel wird irgendwie ernst, es wird mit der eigenen sexuellen Attraktivität kokettiert. Das Design spielt dabei gestalterisch mit Überhöhungen und Assoziativem und nutzt alle möglichen künstlerischen Freiheiten. Die sexuelle Selbstentdeckung wird zum Beispiel mit  knappen, bunten Damenlooks, Blicken ins Dekolleté, Transparenz und anderen klassischen Codes thematisiert. Kurze Röckchen bei den Damen stehen neben sportlich reduzierten Looks für junge männliche Protagonisten. Materialien werden wild gemischt, und Zusammenhänge werden immer wieder aufgebrochen. Die optische Wahrnehmung zieht oft etwas nach unten. Gleichzeitig erinnern weich geschwungene Abschlüsse und Silhouetten partiell an klassische Formgebungen der 1960er und 1970er Jahre bei Damenkleidchen.
Die Herren verharren „casual“, wenig zuordbar, die Oberbekleidung mal flächig „en bloc“ oder mit Drucken auf den Textilien. Der junge Mann bei Sia Arnika darf kommenden Sommer ruhig mal in Unterhose und -hemd auf die Straßen gelassen werden und trägt trotzig ein Halbarmhemd offen. Einerseits kann man auch das als visionär verstehen, realistisch gesehen folgt es andernfalls, ganz nebenbei, der Berliner Unbekümmertheit in Sachen Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit.
Ein sehr eigener Kosmos wird hier thematisiert, wohl darum wirkt die Kollektion auf den ersten Blick gestalterisch zusammenhangslos und auch irritierend.

Immerhin wird das Ganze in der Schau durch die Stimmung und Abfolge der jeweiligen Looks dann doch zu einem einigermassen konsistenten modischen System, wenn auch sehr schräg. Es verharrt als Anmutung in einem Hauch von traumhaft, verstörend und tiefgründig surreal – ja, eine Traurigkeit im Sommer, Trauer über den Wandel und das Eingeständnis, dem Wandel der Zeit zu unterliegen.