Richert Beil – Mutter

Richert Beil – Mutter

Berlin Fashion Week AW2025 – Fichtebunker

Text & Bilder: Boris Marberg

 

Das Designerduo Richert Beil inszenierte seine neue Kollektion Mutter in Berlin-Kreuzberg im historischen Fichtebunker, einem Funktionsbau von 1876, welcher über die Jahrzehnte und Epochen der Stadtgeschichte vielfältige Nutzungsformen erlebt hatte und es ermöglichte eine Modenschau zu präsentieren, in welcher die Modelle ringförmig durch verschiedene, voneinander getrennte Abschnitte des Gebäudes gehen konnten – eine Location, staubig, kahl und unterkühlt – einen passenden Rahmen für die „Geschichte“ der Kollektion bietend.

Thematisch ist die Focussierung überraschend wie immer: Die Kollektion soll eine kollektive psychische und körperliche Ermüdung zum Ausdruck bringen, welche sich insbesondere bei der heutigen Mutterschaft metapherhaft zeigt. Das Thema Mutterschaft ist in der Mode in den letzten Dekaden immer wieder gestalterisch und wissenschaftlich verarbeitet worden. Dabei geht es bei Weitem nicht darum, Umstandsmode zu stilisieren und in einen soziokulturellen Rahmen zu bringen, oder tradierte Familienmodelle zu kommunizieren. Die Stadt Berlin und die beiden Modeprotagonisten Jale Richert und Michele Beil stehen hier sicher nicht für tradierte Reflektionen und Wertvorstellungen, die sich gesetzt haben. Vielmehr ist die Berliner Modekultur immer ein gesellschaftlicher Untergrund gewesen, ein ziviles Labor, in dem sich gesamtgesellschaftliche Entwicklungen herauskristallisierten und neue Ideen in die Peripherie ausstrahlten. Das muss nicht glamourös, oder dekadent sein.
Richert Beil setzt die Überlegungen neu. Konkret ist die Kollektion ein Anknüpfungspunkt zum Innehalten und dem Überdenken von erfahrenem Druck in der heutigen multimedialen Konsumgesellschaft. Mutterschaft führt zur Geburt, gefolgt von einer immer mehr reizüberfluteten Pseudokindheit, die in ein prozessorientiertes Arbeitsleben führt. Konsumiere und arbeite, dann bist Du. Subtil werden diese großen, die romantischen Gefühle zersetzenden Themen in den Raum geworfen – Digitalisierung, Globalisierung, Automatisierung und KI. Das Mystische des Lebens wird durch Funktionalität verdrängt in eine Nische. Und genau hier findet sich fragend und aufwerfend Richert Beil heute – was ist wirklich notwendig? Wie entsteht heutzutage Begegnung?

Gestalterisch wird dieser Fragen- und Themenkomplex – Menschliche Begegnung und Notwendigkeit sozialer Interaktion –  feingliedrig und differenziert herausgearbeitet. Die Basis der Kollektion und der Kreationen bilden solide Flächenkompositionen, die zu schlanken bis hin zu figurbetonten Silhouetten führen. Dies wird meist gepaart mit Schichtungen, auch transparenten. Farbe spielt nur eine untergeordnete Rolle, stattdessen leben hier Hell-Dunkle-Kontraste, bei denen sich leichte Beigetöne oder Silbergrau abwechseln. Das Spiel mit Gegensätzen erfolgt laut und polarisierend.

Aus den 22 Kompositionen stechen beispielhaft zwei lange und schulterbetonte Herrenmäntel heraus, die symbolisch eine Abschottung darstellen, die ihre Träger einhüllen und die in einem Fall unter dem Mantel mit einem Latex-Haubenanzug stiltypisch kombiniert wurde. Das vermittelt Distanz, Abschottung und Schutz vor einer übergriffigen Umgebung, bei gleichzeitiger Selbstverortung. Viele der Looks sind in den Konstruktionen sehr kompakt gehalten und spielen mit Funktionalismus. Das drückt sich auch in der Materialwahl aus. Hier stehen Jerseys, Baumwoll-Seide und Mischungen von Wolle mit Seide festen Materialien wie Latex und Leder gegenüber. Nach wie vor sind die Kreationen von Richert Beil sehr eigen in Konzept und Erscheinungsbild und haben sich von den Bezugnahmen zu BDSM und Gothik in vielerlei Hinsicht verselbständigt. Einer ebenso eigenen, treuen Kundschaft ist das nicht abträglich.