Berlin Fashion Week AW2024 – Pressecafé
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Zehn Outfits in knapp 30 Minuten – das war vielleicht die slowest Fashion Show ever. Eine recht deprimierende Veranstaltung mit sehr langsamen Bewegungen, gleichmäßig dahinplätscherndem Text als Begleitsound und durchweg ernsten Gesichtern. Das ursprünglich ukrainische Konzeptlabel (jetzt ansaässig in Berlin) der Designerin Irina Dzhus ist im wesentlichen ökologisch geprägt und versucht der nachhaltigen Garderobe größtmögliche Wandlungsfähigkeit auf den Weg zu geben.
Bisher war das bei allen Outfits so und das vollzog sich gleichzeitig in einer atemberaubenden, skulpturalen Kreativität, so dass der überraschende Effekt der Verwandlung auf der Bühne auch als künstlerischer Prozess verfolgt werden konnte, eine Option, die danach imaginär an den Besitzer übergeben wird. Dieses eher dynamische Konzept wird jetzt, besonders in seiner Wahrnehmung, abgelöst durch einen eher gegenteiligen Effekt. Die geradezu schleichende Performance verhindert bewusst jeden erfrischenden Aspekt und betont stattdessen eher das Unbewegliche, Dröge und geradezu Pessimistische. Die Langsamkeit wird nicht im Sinne von „zur Ruhe kommen“ erlebt, sondern als Negation des pulsierenden Lebens. Und der Verwandlungszauber ist damit sehr dämpfend herunter gefahren.
Die Designerin sitzt mit versteinerter Mine und geradezu unbewegt am Rand der Mitte des Laufstegs, steht gelegentlich auf und arrangiert langsam und konzentriert die meisten der Outfits neu, aber nicht mehr alle, wie früher, und auch nicht mehr so spektakulär im Erscheinungsbild. Währenddessen bewegen sich die Models langsam schreitend über den Laufsteg, ernst und verhalten. Der von einer Frauenstimme im Hintergrund tonlos eingesprochene Text erzählt persönliches Erleben und Befinden zu „Gott und die Welt“, von Hoffnungslosigkeit geprägt und mit depressiver Anmutung ohne Höhen und Tiefen.
Aber innovativ sind die vorgestellten Outfits noch immer. Tops aus Hüten, eine Hose mit vier Beinen und anderes mehr. Die Gestaltungsprinzipien folgen keinem einheitlichen Gestaltungsmotto, sind aber noch immer skulptural gedacht. Flächen werden aufgebrochen und als Teile sich wandelnder Architekturkonstruktion verstanden. Die Stoffe sind nicht mehr so eingeschränkt in der Auswahl, andere als grobes Leinen sind hinzugekommen, zum Beispiel Chintz (dennoch ausschließlich ethische Materialien). Die Kontraststärke von Schwarz und Weiß wird prägnant ausgespielt, Farbe gibt es noch immer eher nicht. Auffällig ist die Verwendung von Hüten in der Bekleidung, manchmal ganz, manchmal aufgeschnitten, manchmal nur noch aus formalen Elementen bestehend. Hier ist die Dekonstruktion für Verwandlung am ausgeprägtesten angelegt – inwieweit sich daraus eine weiterreichende Interpretation ablesen ließe, bleibt aber nicht wirklich erkennbar. Dem Unisex Konzept ist die Designerin im Großen und Ganzen treu geblieben, ein ästhetischer Bezug zum Körper und zu Sinnlichkeit bleibt ohnehin aus, fest, stark und dauerhaft wirkt die Garderobe nach wie vor.
Inwiefern die Position als ukrainische Designerin unter den besonderen Umständen des Krieges hier in der Kleidung eine Rolle spielt, kann man höchstens noch mutmaßen, zwingend erscheint das aber nicht. Der Pressetext erklärt: „Ein makaberes Rendezvous mit den heiligsten Ängsten, das in einer tiefen Trauer um eine körperlose Lebensprojektion mündete, zwang sie, den bereits vertrauten Überlebensmodus einzuschalten und die angesammelten kreativen Kräfte in vollem Umfang als dringenden Bewältigungsmechanismus zu nutzen.“ Deutlicher, so scheint es eher, als bei der Kleidung kriecht die hoffnungslose, starre Atmosphäre der Performance unter die Haut. Das deprimierende Erleben einer gleichförmig schleichenden Modenschau ist dann doch, wenn man es im Rahmen der Modewoche sehen will, ein Statement, das den großen Kontext infrage stellt.