38. Festival de Mode, de Photographie et d‘Accessoires de Mode, Hyères, Oktober 2023
Text und Bilder: Gerhard Paproth
Die diversen Ausstellungen, kleine und größere, sind über den ganzen labyrinthisch verschachtelten Baukomplex der Villa verteilt und die meisten, sofern es sich nicht um den Fotografiebereich im Erdgeschoss handelt, agieren auf Schnittstellen zwischen Mode, Kunst und manchmal Fotografie. Oft sind es Installationen, die von Mode- oder Accessoiresentwürfen ausgehen und diese dann in meist surrealistische Traumwelten transferieren.
Die Ausstellungen sind bis 14. Januar 2024 geöffnet.
Dieses Jahr feiert die Villa Noailles ihren hundertsten Geburtstag und viele Fotoprints, zugeeignete Kunstwerke und Dokumentationen erstrecken sich über Treppenhäuser und Gänge. Oft sind die Kunstwerke direkt auf ihre Gründer Charles und Marie-Laure de Noailles bezogen, die wohl ambitioniertsten Kunstförderer Frankreichs des letzten Jahrhunderts.
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Die zentrale künstlerische Design-Installation, „Le Chaos“, wird dieses Jahr von Charles de Vilmorin gestaltet, einem jungen (26 Jahre alt) französischen Modedesigner, der vor drei Jahren seine erste Kollektion, unter anderem mit einer auffälligen Bomberjacke, vorstellte, was ihm ihm eine Anstellung bei Rochas für zwei Jahre als Art-Director einbrachte. Dieses Jahr ist er Präsident der Jury für Mode des Festivals, eine ungewöhnliche Entscheidung – erstaunlich für so eine noch junge Karriere in den Anfängen. „Ich betrachte meine Rolle hier mehr als Austausch als als Urteilsvermögen“, sagte de Vilmorin dazu während eines Interviews. „Es geht um eine Diskussion unter Gleichgesinnten.“ Dies rückt von der klassischen Position des erfahrenen Juryleiters ab und setzt einen Designer an die Stelle, der selbst nicht weit weg von den jungen Preisbewerbern ist.
De Vilmorins eigene Modeentwürfe sind ausgreifend barocker Natur, bestimmt von Naturelementen, Körperbemalung und Neonmakeup und manchmal voluminösen Silhouetten („Everything related to the body and movement inspires me“). Einflüsse von Popkultur wie Niki de Saint Phalle und surrealistischen Arrangements erweitern die Modeentwürfe zu kleinen Phantasmen und dekorativen Spielereien. Hart an der Grenze zu Kitsch und sehr campy macht diese Kreation aber Spass beim Umgehen: Schwäne, Rösser, Flügel und Feenzauber liegen als Gipsskulptur auf dem Boden, als Tod und Himmelssturm, umgeben von Teufel und Eros und ornamentalem Zauber. Inmitten dessen schlichte Gewänder und laute, knallbunt und poppig dekorierte Outfits an Mannequins, die die Märchenwelt des Künstlers beleben und die Mode als Teil einer größeren Fantasiewelt kennzeichnen.
Alan Crocetti ist Vorsitzender der Jury für Accessoires und Schmuckdesigner. Er gilt als der mutigste und interessanteste Schmuckdesigner der Gegenwart und ist bekannt für seine experimentellen und ungewöhnlichen, nicht geschlechtsspezifischen Kreationen im Zusammenhang mit der Anatomie, wie etwa sein berühmtes silbernes Nasenpflaster. Er wurde in Goiânia, Brasilien, geboren und wuchs in Belo Horizonte auf, wo seine Eltern ein Strumpfwarengeschäft betrieben, bevor er nach Europa zog. Sein Label gibt es seit 2014. Die Installation „Body Politics“ mit Schmuck auf nackten, künstlich-realistischen Körperoberflächen führt ebenfalls zu einer etwas übersteigerten, geradezu unheimlichen, superrealen Anmutung, ähnlich wie das die Neue Sachlichkeit (z.B. Christian Schad) schon in den 20er Jahren und später, noch extremer, der Hyperrealismus zu evozieren suchten.
Der Frontmann des Labels Pigalle, Stéphane Ashpool, wurde zum künstlerischen Leiter und leitenden Designer der Olympischen Spiele in Paris 2024 ernannt, der zusammen mit Le Coq Sportif arbeiten wird, um die französischen Teams zu kleiden. Dabei geht es um die Herausforderung, (französische) Tradition und Moderne harmonisch in Einklang bringen. Ashpool sucht dafür einen subtil ausgewogenen Gestaltungsweg, farblich, formal und mit pfiffigen Akzenten, und dieser Raum zeigt Zwischenergebnisse, er soll quasi ein Eintauchen in diesen Entwicklungsprozesses ermöglichen, mit Zeichnungen, Proben, Versuchen, Material-, Schnitt- und Farbexperimenten.
Eine kleine Installation zeigt die neuen Arbeiten des letzten Preisträgers des le19M Métiers d’Art Preises Valentin Lessner. Der mit Chanel verbundenen Organisation le19M Métiers d’Art gehören die 10 wichtigsten französischen Kunsthandwerksunternehmen der Mode an; der Preis von 20.000 Euro ging zusammen mit einem Gestaltungsprojekt mit einem der beteiligten Häuser nach Wahl, das wir hier sehen.
Eine recht originelle Installation ist der „Salon de Musique“ des Ehepaares Marie-Laure und Charles Noailles. Die Instrumente haben sich einer künstlerischen Metamorphose unterzogen und die anwesenden Personen auch. Musik verkehrt sich ins Surreal-Optische.
Aus der Ausstellung zu 100 Jahre Villa Noailles: