Berlin Fashion Week SS2024 – Kronprinzenpalais
Bilder: Andreas Hofrichter
Text: Gerhard Paproth
Das war eigentlich vorher klar: Namilia werden nicht enttäuschen. Und so kam es dann auch – sie legten eine sehr große und einfallsreiche Kollektion hin und hatten, im Gegenzug, ein so großes und hingerissenes Publikum wie nie.
Bei allen Looks hatte man den Eindruck, die Designer hatten unglaublichen Spass daran, ja sogar, dass der die Triebfeder für alle Facetten der Gestaltungselemente und -aspekte, kurz für die das gesamte kreative Tun, ist. Damit meine ich nicht die übliche Freude, die ein Schöpfer bei seiner Arbeit hat, sondern richtig vergnügten Spass. Natürlich überträgt sich das auf den Betrachter und wenn, wie hier, die Sache dann auch noch richtig gut und mit Sorgfalt gemacht ist, wird sie leicht erfolgreich.
IN LOVING MEMORY OF MY SUGAR DADDY heißt die Kollektion des Design-Duos Nan Li und Emilia Pfohl und eine triefend ironische Verwendung des Christus‘ am Kreuz auf unzähligen Bekleidungselementen und Schmuck tritt ebenso rätselhaft hinzu. Der Pressetext gibt eine Verständnishilfe: „In the Bible, women are ditpicted in one of two mutually exclusive ways: as the virgin or as the whore. The myth of Adam and Eve establishes women as the demonic seductress responsible for the downfall of mankind. Western European society’s inequality and rigid views on gender have been oppressively enforced across the globe, a legacy that remains throughout modern society.” Aha, die schillernde Symbolik am sexualisierten Outfit angebracht entwirft also keinen ironischen, sondern zutiefst sarkastischen Blick auf die Religion, ihre Doppelbödigkeit und ihre aufgeladene Symbolik, nicht selten wird sie auf dem Hintern getragen. Religion als Anschauungsträger der gesamten westlichen Kultur(geschichte) wird zum Ziel schwerer Vorwürfe und Verachtung, besonders was das Menschenbild hinsichtlich Frauen angeht. Das ist eine heftige Politisierung der Mode, die allerdings sehr klug und amüsant gestaltend, geradezu unterhaltsam formuliert wird. Richtig gut wird es aber, weil der Gegenentwurf gleich mitgeliefert wird, und der ist nun sexuell aufgeladen, propagiert freien und gleichberechtigten Umgang, positives Selbstbewußtsein und vor allem kreative Selbstbestimmung.
Und zum Titel macht das Einladungsmotiv klar: der klassische Sugardaddy wird hiermit beerdigt.
Die bisherigen Kollektionen waren wesentlich von der Berliner Nachtclubszene inspiriert und das ist auch jetzt noch so. Hinzugetreten ist eine Öffnung zu Modehistorie und ikonischen Schnitten und Objekten aus der Grande-Class-Fashion und zu Eleganz. Auch dies nicht ohne (Selbst-)Ironie. Wir finden die Birkin-Bag als überdimensionierte Tasche, vor allem als verbleibende Henkel mit Schließe an sehr vielen Kleidern, Röcken, Tops und sogar auf Strumpfbändern und Slips. Wir sehen überall ironische Zitate, Exklamationen, Assoziationen, Details – sexy eingebaut oder als fette, glitzernde Schriftzüge aufgebracht. Und immer wieder das Fakematerial Krokoleder in gelacktem Silber, Pink, Weiß und Schwarz als verdrehten Luxusverweis. Fell, Spitze – viele sexuell aufgeladene Materialien kommen zum Einsatz und parallel dazu Schnitte und Kombis, die viel Haut frei lassen, fast immer in Ergänzung mit einem symbolischen Seitenhieb, sei es Schleier, religiöser Schmuck, Nonnentracht oder ein knappes, ordinäres Wort in Applikation.
Ein sehr komplexes und detailverliebtes Gestaltungsprinzip, stets verwoben mit kritischer Haltung, politischer Forderung, sexueller Lust und ironischem Humor. All das in dieser entschiedenen Konsequenz ist schon ein radikales Novum auf der Fashionweek und es funktioniert auch perfekt, weil die Ausführung höchst anspruchsvoll bis ins Detail ist und weil der subtile, gute Geschmack hier, nach dem langen Abschied in der Mode-Szene, nun wieder entscheidendes und unterscheidendes Kriterium ist. Insofern setzt Namilia neue Massstäbe auf der Berliner Fashionweek und man kann hoffen, dass sie auch hier bleiben und dass die Designer- und Organisatorenszene das auch begreift und weiter unterstützt. Amen.
Hinweis: Das Werbebild im Text stammt von der Namilia Pressestelle.