Paris-Seoul FW aw2022/23 (women), Tranoï Palais Brongniart
Bilder und Text: Gerhard Paproth
Der Labelname WNDERKAMMER der Designerin Shin Hye Young bezieht sich auf die Räume des Barock, die Objekte und Kunstwerke in ihrer unterschiedlichen Herkunft und Bestimmung präsentierten (ursprünglich Kuriositätenkabinette). Sammlungen verschiedenster, ungewöhnlicher Gegenstände und Bilder, die in der Kombination der Verschiedenheiten bzw. Unzusammengehörigkeiten stetes Erstaunen auslösten und auch gerne exzentrische Anschauungsweisen vorführten. (Sich ein Panoptikum anzulegen und Gäste damit zu unterhalten war im barocken Bürgertum der Niederlande große Mode.)
Das Designerteam hat dieses Konzept als Gestaltungscredo übernommen mit dem gleichzeitigen Ziel, dies in seinen Kollektionen jeweils in eine zusammenhängende Linie zu überführen, also das Disperate stilistisch zu einen. Formal geschieht dies durch minimalistische Silhouetten, organische Materialien und saubere Details, die vorgefundene Besonderheiten auch konkurrierend in Spannungsfelder bringen.
Soweit ist das ein schwieriges Konzept, Auseinanderstrebendes zu vereinen – quasi eine Objekt- Material und Mustercollage, die aber auch zu einem Ergebnis von Vielfalt, Nebeneinander von Attraktionen und Anwandlungen von Extraordinärem führt, dessen neugierige Betrachtung Spass macht. Letzteres ist ja nicht immer der Anspruch (noch aktueller) konstuktivistischer Modegestaltung, die oft aus der Schichtung der Widersprüchlichkeiten eher einen widerständigen Reiz ziehen will.
Die häufige Betonung des Bauchfreien in der Kollektion addiert den Frauenkörper als zusätzlichen Reiz hinzu, ohne eigentlicher Sexyness zu viel Bedeutung beizumessen, wie das schlichte, eher zurückgenommene Make-Up das auch widerspiegelt. Man kann damit durchaus den Eindruck haben, dass sich die Gestaltung um eine recht zeitgemäße Sicht auf weibliches Selbstverständnis dreht, der Generation der Mittzwanziger bis Mittdreißiger, die mutig ihre Individualitäten und Betrachtungsmodi expressiv und zugleich spielerisch herausstellen will.
Der Pressenotiz zufolge fühlte sich Shin Hye Young von dem Poeten Yoon Dong-joo („On the Street“) inspiriert: „Ein Poet, der nicht mit Stil geizt, mit dickem Wollmantelkragen und in die Tasche gesteckten Händen. Er geht in einer verschneiten Winternacht mit dem vom Mondlicht erzeugten Schatten als Freund spazieren.“ Auch daraus kann sich eine sehr eigene, reiche und weibliche Vorstellung entwickeln.