Neo. Fashion mit Best Graduates Show Berlin, 2021
Text: Gerhard Paproth
Bilder: Boris Marberg
Mit der Pandemie wurden bekanntlich gerade Schüler und Studenten vor neue und besondere Herausforderungen gestellt. Es erweist, oder vielmehr bestätigt sich, dass effektive Ausbildung mit sozialen Bindungen und selbstständiger Motivation verknüpft ist und während das bei normalen Bedingungen so selbstverständlich gelebt wird, treten diese Aspekte in der Isolation plötzlich deutlich hervor. Gerade in kreativen Ausbildungsgängen ist der Sozialisierungsfaktor ein entscheidendes Kriterium für Erfolg und Produktivität. Heute vielleicht nicht mehr ganz so ausgeprägt wie früher, aber, wie man an den studentischen Arbeiten erkennen kann, doch sehr prägend. Paradoxerweise ist dann zum Abschluss der Studienentwicklung ein isoliertes Jahr noch eine Gelegenheit, das gewonnene eigene Potenzial auf den Punkt zu bringen.
Die Vorführung der Modeschulen mit den Abschlussarbeiten im großen Vergleich und in der allgemeinen ideologischen beziehungsweise zeitgeistigen Strömung bietet ja jedes Jahr einen guten Einblick, wo es mit Modegestaltung künftig lang gehen wird oder kann und auch wie ausgeprägt das innovative und kreative Potential gerade ist. Was wir in der jüngeren Vergangenheit bemerkt haben, ist gesellschaftspolitische Verantwortung neben individueller Selbstfindung in einem Problematisierungskontext ein starker Trend, der von der Hochschullehre vorgegeben wird.
Wenn man unterstellt, dass nun im letzten Ausbildungsjahr während der Isolation die Selbständigkeit zwangsläufig den höchsten Stellenwert bekommen hat, ist das einerseits eine schmerzliche, andererseits aber doch hoch spannende Voraussetzung für die Produktionsergebnisse. Wir haben jedenfalls die Schauen unter diesem Aspekt kritisch betrachtet und finden, bei allem Mitgefühl für die Problematik eingeschränkter Begleitung, dass dieses Zurückgeworfensein auf das eigene und bislang gewonnene Potential positiv kristallisierende Effekte zeigt.
Es war also alles nicht ganz anders, man liest die entscheidenden Impulse der Gestaltungslehren nach wie vor deutlich heraus. Aber man sieht eben auch, ob die Studenten nun beim Gelernten stehen geblieben sind oder in der Lage waren, abschließend eine eigene Position daraus abzuleiten. Und das, so hatten wir jedenfalls das Gefühl, ist den Kandidaten sehr unterschiedlich gelungen. Manche führten zugespitzte Semesterarbeiten aus der Ausbildungszeit vor, manche kombinierten das Gelernte geschickt zu einer Art Wissenscollage und andere konnten ein eigenes Leitinteresse herausarbeiten, das sichtbare Gewichtungen umreißt. Und für letzteres ist ein Jahr Isolation nicht die schlechteste Rahmensituation und diese Verortungen waren natürlich die spannendsten Beobachtungen.
Im Vergleich zu anderen Schauenveranstaltungen, die ja eher einmal gefundene Positionen eines Designers in Varianten schlüssig vorführen, sind die „Graduates“-Schauen vergleichsweise anstrengend, denn sie sind so individuell unterschiedlich in schneller Abfolge. Zumindest was das Kreative betrifft. Und wir haben darum versucht, nachfolgend die eindrucksvollsten Ergebnisse herauszupicken, was vielleicht nicht immer ganz gerecht ist, bei ca. 75 Teilnehmern mit jeweils drei bis sieben Outfits wird die Auswahl etwas subjektiv. Aber sie korrespondierte dann schon im Vorfeld überraschend mit den Lieblingsstücken der Designer selbst und auch der abschließenden Jurierung. Wegen diverser Überschneidungen haben wir auch nicht alle Hochschulpräsentationen gesehen. Nachfolgend stellen wir die Absolventen und Preisträger der „Best Graduates Show“ vor und im Anschluss eine kleine, zusätzliche Auswahl anderer Studenten aus verschiedenen Hochschulen.
Die Awards.
Award Kategorie „Best Design“ bekam Flora Taubner mit der Kollektion VALUE (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle). Ihre Gestaltung ist sehr Körperbewußt und collagenhaft geprägt. Die Entwürfe haben einen gewissen Witz, der erst auf den zweiten Blick bewusst wird.
Der Award Kategorie „Best Sustainability Concept“ geht an Paul Kadjo mit The Spirit Between Bodies And Objects (AMD Akademie Mode und Design). Im Vordergrund steht der Spass mit Fransen und verschiedenen akzentuierenden Stilelementen, die zum Teil auch ethnologische Assoziationen verwenden. Paul Kadjo hat schon ein eigenes Label gegründet, PROTOTYPE. Das „bietet dem Kunden qualitative, nachhaltige und gut verarbeitete Kleidung und Accessoires, welche Design in Form von Schnitt oder Drapierungen wiedergeben, statt nur in Form von Drucken“ (P. Kadjo). Über den kommerziellen Aspekt hinaus träumt er davon, in Zukunft „Mode als Kunst“ In Kunstausstellungskontexte einbringen zu können.
Den Award Kategorie „Best Craftmanship“ gewann Aylin Tomta mit Hylemorph (Fachhochschule Bielefeld. In der Tat fallen ihre Sachen auf durch gut gemachte Schneiderexperimente und geradliniges Konzept.
Sie hatte übrigens als junge Studentin 2016 auch schon den 3. Preis European Fashion Award (FASH) gewonnen.
Aus den Neo.Fashion-Schauen der (Hoch-)Schulen.
Alicia Schikovski – INVOLUCRUM // CONNEXICO (Lette Verein Berlin): Sie spielt die Reize groß aufgeblasenen Microstrukturen (meist Wollgewebe) in Kontrast zu feinen Flächen aus, das inszeniert sie schlicht und wirkungsvoll.
Anna-Marta Thomas – Frequenzen // Close Encounter (Lette Verein Berlin): Schlaufen und Farbkontraste; mit zum Teil sehr raffinierten Einfällen und komplizierten Verarbeitungen entstehen wirkungsvolle Flächen und Reliefs, zumeist sehr elegant, manchmal aber auch im Schlafsackmodus.
Arabella Romen – Birth of Venus (AMD Akademie Mode & Design): Großzügige Prints und richtungswechselnde Überlagerungen bzw. Schichtungen charakterisieren am ehesten die Kollektion der Absolventin. Das Venushafte erschließt sich nicht unmittelbr.
Celine Witzke – GIRLS IN BOYS (AMD Akademie Mode & Design): Die Absolventin ist eines der raren Beispiele, die sich klassischer Eleganz und ästhetischer Herausforderung noch hauptsächlich verpflichtet sehen. Dies gelingt ihr sogar bei thematischen Skurillitäten, die ihr sonst aber eher fremd sind.
Clemens Oskar Kramer – Aus weniger mehr machen (MD.H Mediadesign Hochschule): Die Strukturierung von Flächen in Oppositionen sind gelungene Beispiele der Arbeiten. Hier funktioniert auch der Unisex-Charakter ganz gut, ohne proklamatorisch daherzukommen.
Deborah Tänzer – Momo (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle): Schichtungen, oft monochrom, gewinnt die Designerin eine angenehm diffuse und zugleich klare Tiefenwirkung ab, stets elegant bleibend und meist auch sexy.
Dennis Sanders – Open Borders (Hochschule Hannover) gehörte zu den Kandidaten auf den Award. Auffällig ist die Lust, mit Stoffarten beziehungsweise Geweben kombinierend zu experimentieren. Gelegentlich ergänzende Akzente sind sehr wirkungsvoll hinzugefügt.
Felicitas Volk – It’s your world for a moment & City Landscape (Lette Verein Berlin): sie gehörte ebenfalls zu den Award-Kandidaten, mit großzügigen, monochromen Outfits. Besonders die sehr schönen Farben bestimmen die Gesamtwirkung, große Reliefstrukturen (auch gelegentliche Textprints) und richtungswechselnde, konsequent angelegte Schnitte sorgen für ein interessantes und zugleich klares Erscheinungsbild.
Ganna Tsvetyanska – OB“YEDNANI (Hochschule Hannover): Schichtungen, oft kontraststark und sehr geometrisch konstruiert, geben der Kollektion eine klare Richtung, die auch für Männer unaufgesetzt mit einer gewissen Eleganz gut funktioniert.
Hannah Kaspari – Dreams behind walls (FH Bielefeld): Die Designerin liebt originelle Prints und luftige Oberflächenreliefs, bleibt im Übrigen aber eher klassisch und beim Modeüblichen.
Helena Wieser – Wollust (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle): Die Designerin experimentiert im Zusammenspiel zwischen Haut/Körper – Unterbekleidung – Oberbekleidung und gewinnt den entstehenden Wirk-Kontrasten irritierende, erotische Kombinationen ab. Strick, oft grob, ist dabei ein bevorzugtes Medium.
Jay Yang – Grenzenlose Grenze (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle): sehr grafische Schnitte und auch ein asiatisches Formenverständnis führen zu eigentümlichen bis abenteuerlichen Konstruktionsexperimenten, ohne an Klarheit einzubüßen.
Jil Wollmann & Jana Steinmann – OKA PI (MD H Mediadesign Hochschule): Mit dem Schichtungsprinzip reduziert angewendet, Reduktion auch auf Schwarzweiss und mit asiatischer Klarheit im Finish führt das Duo hier eine ästhetisch sehr niveauvolle Kollektion vor.
Johann Erhardt & Johannes Stoehr – Phobia (Lette Verein Berlin): Auflösung der festen Textilien und Auflösung der Farbe bei Kontrasten sowie Auflösung klarer Schnitte. Experimente von eleganter, gediegener Wirkung mit Silhouetten, die noch einen Touch Erotik hinzufügen.
Insgesamt sind die Ergebnisse sehr kreativ. Wir fanden sie jedenfalls spannender als früher, zum Beispiel in der digitalen Präsentation letztes Jahr, die zum Teil grauenhaft und oberflächlich war. Vielleicht trügt der Gedanke, dass der gezwungene Rückzug im abschließenden Jahr jeden Designer konzentrierter hat arbeiten lassen als sonst. Damit ließe sich das öffentliche Kompliment, das Esther Perbandt den Studenten fürs Ertragen der Situation machte, auch auf die Mehrleistung ausweiten.
Die Lehrkräfte sehen das aber vielleicht mit geteilten Einschätzungen. Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als auf der Bühne eine Dozentin einen schönen Blumenstrauß schlecht in Packpapier verpackt ihrem Studenten zur Gratulation überreichte.