Berlin Fashionweek aw2020, Crackers, Friedrichstrasse
Text und Bilder: Gerhard Paproth
Eine etwas ungewöhnliche Fashion-Location: Durch die Restaurantküche gelangt man ins Crackers – die schicke, etwas versteckte Bar (bzw. das Restaurant) an der Friedrichstrasse wurde in eine Laufstegkonstellation umgeräumt und mit kleiner Hinzufügung ergänzenden Lichts und freundlicher Weinverkostung war der Ort für eine kleine Modenschau angemessen ausgestaltet. Die war dann eher für Insider-Publikum, also Kundenfreunde des Labels oder des Bar-Restaurants und entsprechend typisch in den modischen Erscheinungsbildern.
Die mit 50 Outfits relativ große Kollektion focussierte sich hauptsächlich auf Businesskleidung gehobenen Niveaus, geschmacklich solide, meist stimmig und ohne besondere Merkmale oder Kicks, gut verarbeitet und mit „wertigen“ Materialien. Seriosität mit der üblichen, angedeuteten Sportlichkeit, Lässigkeit und Großzügigkeit, die die dynamische und jung erscheinende Businessfrau aus erfolgreichen und wohlhabenden Kreisen repräsentiert. Das gestaltende Wagnis muss außen vor bleiben, aber gewisse Keckheiten im Arrangement sind als eine stilistische Aufwertung zu verstehen und stellen Lässigkeit heraus. Gold als bestimmende Farbe einiger Outfits fällt in dem Zusammenhang schon aus der kultivierten Zurückgenommenheit und setzt einen ungewöhnlichen Akzent. Gewagt im Businesskontext wirken dann auch die etwas freieren Outfits mit leider schlecht sitzenden Bandeau-BHs. (Und die Drapierung der Handtaschen vor einer Brust ist sicher dem Demonstrationsaspekt geschuldet und keine neue, modische Sitte.)
Einerseits war die Schau von Boscana x Gitta Banko während der Fashionweek alles in allem eine passende Einlage im üblichen Bar- und Restaurant-Getriebe des anspruchsvolleren Segments, nicht weiter spektakulär. Andererseits kann man sie aber auch als ein Statement für eine wohlhabende Großstadt-Klientel verstehen, die mittlerweile auch in Berlin Fuß gefasst hat und die Stadtkultur spürbar verändert beziehungsweise verändern will. Das hat, wie gesagt, noch Insider-Charakter, ist quasi der Hamburg-München-Düsseldorf-Import, ein noch subkulturelles Phänomen, es demonstriert aber, dass die Fashionweek nicht nur eine Veranstaltung von Kreativmode bzw. Mode-Kunst ist, sondern dass sie auch das bisherige kulturelle Selbstverständnis der Stadt neu aufmischt. In dem Sinne kann man scheinbar beiläufige Veranstaltungen wie diese nicht ignorieren.