Berliner Fashionweek AW2020, Kraftwerk
Text: Boris Marberg
Bilder: Andreas Hofrichter
Fragen stellen kommt vor der Handlung des Notwendigen. Die Designerin präsentierte ihre neue Herbst- und Winterkollektion für das Jahr 2020 wieder im Rahmen der Berliner Fashion Week im Kraftwerk Berlin, einem ehemaligen Heizkraftwerk und angesagten Ort für avantgardistische Veranstaltungen. Gerade diese Umgebung passt als Kontrast sehr gut zu der neuen Kollektion von Rebekka Ruétz, die diese Fragen aufgreift.
Die Designerin ist seit langem auf der Beliner Fashionweek dabei und immer wieder gut für dezente politische und gesellschaftliche Stellungnahmen in ihren Kreationen. Noch vor kurzem waren es schlagfertige Sprüche hinter einem „Hashtag“, die in einem Kontext zu einem zeitgenössischen Feminismus gesehen werden konnten. Auf stilistisch gesehen plumpe Sprüche verzichtet die neue Kollektion erfreulicherweise und dieser Trend einiger Marken war hoffentlich nur eine kurze Irritation in der Modebranche. Es wird Zeit, sich dringender Dinge anzunehmen und Anliegen adäquat zu vermitteln. Auf unsere Straßen werden wichtige Themen in den öffentlichen Raum getragen und Fragen gestellt, die zu beantworten sind und Rebekka Ruétz versucht auch stets, darauf zu reagieren. Denn Mode sollte sich dem nicht entziehen und will dies oft auch gar nicht. Hierzu eine Position zu haben und diese durch Mode auszudrücken ist eine Herausforderung und eine Auseinandersetzung, der sich Ruétz nicht entzieht.
Hinzu kommt die Krise der Modeindustrie, die nur ein kleiner Teil von dem ist, was für die Zukunft, aber auch für die Gegenwart, von Bedeutung ist, wenn dem Anspruch auf Nachhaltigkeit genügt werden will. Hier gestalterisch eine Synthese zu finden, die modischen Ausdruck und gesellschaftliches Anliegen verbindet und in ein nach außen gezeigtes Lebensgefühl überführt, ist oft nicht authentisch und glaubwürdig. In der Hinsicht bleibt die Positionierung des Labels noch offen.
Mit der Gestaltung der Kollektion greift die Designerin vielfach auf A-Silhouetten und Schichtungen zurück. Bedruckte Blusen, mit einem schärpenartigem Anhang, welcher teilweise bis zum Boden reicht, vermitteln einen fließenden Übergang von der Bluse hin zum leichten Mantel, der wiederum unter einer anderen Jacke getragen werden kann. Im Zusammenhang mit den warmen Farben und dem luftigen Material laden diese Einzelstücke auch dazu ein, im Sommer getragen zu werden, mit körperbetonten Schnitten. Daneben stehen fast schon kastenförmige Silhouetten, die selbstsicher den Raum einnehmen und viel Volumen bieten.
Unter den Looks finden sich schwarze Mäntel, Kurzmäntel und Jäckchen mit Lederoptik. Mit viel Schwarz wird in dieser Kollektion auf Kontrast zu den ansonsten sehr kräftigen und warmen Farben gespielt. Ein sehr erdiges Currygelb, ein knalliges Bananengelb, leichtes Türkisblau und warmes, dunkles Rot finden sich bei den Stoffen zwischen all den Drucken. Diese Drucke zeigen auf eine spielerische Art eine Kosmologie und einen Blick auf die Erde und dem, was ihr angetan wird, wie durch ein Kaleidoskop – oder sie kommen in einer an Batik angelegten Flächengestaltung daher. Hier soll sich eine Anspielung auf die Verschmutzung der Meere durch (Mikro-)Plastik wiederfinden (die, das sollte man dabei nicht vergessen, letzlich auch aus Kunstfasern in unserer Kleidung kommt). Eine Sonderstellung nimmt eine Serie von Looks ein, die in Gold gehalten sind. Das wirkt im übertragenen Sinne wie Honig, der über die gesamte Kollektion gegossen wurde und dahinfließt.
Bei den Details fallen spitze Krägen ebenso auf wie asymmetrisch gestaltete Schultern. Für die Arme werden gepuffte Armschoner in verschiedenen Materialien kreiert oder – kontrastierend – durch nur im Profil deutlich sichtbare „Protektoren“ ergänzt. Damit deutet sich eine gewisse „Geharnischtheit“ an. Immer wieder unterbrechen waagerechte Muster oder Applikationen den Fluss. Breite, lange Gürtel teilen die Silhouetten und fließen dann manchmal fast bis zum Boden hinunter. Wie bei den oben beschriebenen Schärpen wirkt dies auch als eine Verlängerung des Looks in den Raum hinein.
Dezent werden die Kleiderzusammenstellungen durch dekorativen Schmuck abgerundet.
Und zum Schluss schoss die Designerin mit einer flotten Fahrt auf einem knallig blauen Elektromotorrollerüber den Laufsteg – irgendwie auch noch ein Statement zur gesellschaftlichen Diskussion.
