Paris FW SS2020, Dach Showroom
Text und Bilder: Gerhard Paproth
Auf der Suche nach jungen, aussagestarken Modedesignern in Paris war das Berliner Label Namilia ein absoluter Flash. Und das, leider, ohne eine eigene Schau. Sie präsentierten ihre Kollektion „Join the Resistance“ stattdessen im DACH-Showroom, der diverse junge Labels aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Paris während der Fashionweek vorstellt.
Nan Li und Emilia Pfohl, die beiden Designer von Namilia, haben bereits eine beachtliche Fangemeinde, nicht zuletzt auch wegen des Umstandes, dass sie bereits auf der New York Fashionweek Schauen hatten, wofür sie auch angemessene Unterstützung im Vorfeld bekamen. Eine Berlinschau können sie sich (noch) nicht leisten, mangels solcher Unterstützung. Dabei arbeiten sie dort und haben dort auch studiert.
Nach ihrem Studium an der UdK zogen beide nach London, machten da einen Masterabschluss und diverse Praktika und fanden von dort aus den Kontakt zur New York Fashionweek. In London selbst gelang der Anschluss in die Modewelt weniger, weshalb sie nach Berlin zurückkehrten.
Aber so erscheint nun die New York-Berlin-Connection als ein prägender Gedanke, der nicht ganz oberflächlich sein muss. Bei dieser Mode wirkt die Achse der Westkultur als pointiertes Lifestyle-Agglomerat, denn in ihr verschmelzen Fantasy, Sex, Futurismus und vor allem Frauenemanzipation zu einem sehr überzeugenden Statement. Und das reduziert sich auch nicht nur auf Zugehörigkeitscodes, sondern vermittelt individuelle, expressionistische Aussagekraft auf sehr hohem und gewagtem Niveau. Dabei sind alle Teile sicher im Geschmack, innovativ in den Gestalten und sehr detailliert in den vielen besonderen Ideen, die alle zueinander passen und auch noch verschiedene Varianten anbieten. Die Verarbeitung der Materialien – zumeist festes Kunststoffgewebe und vermutlich nicht nachhaltig – ist perfekt und liebevoll. Und selbst wenn es bedauerlich sein mag, dass hier der Nachhaltigkeitsanspruch nicht einbezogen ist, so sind doch die vorgeführten Perspektiven auf eine Zukunft und ein gesellschaftliches Selbstverständnis sehr vielen anderen Modemachern um Längen voraus. Schon die herausgearbeitete Interpretation von Frauenemanzipation ist avantgardistisch und stark, ohne dabei die erotische Spezifik über Bord zu werfen – im Gegenteil! – oder sich in Kleinklein zu verlieren. Gendercrossing ist darum eher kein Problem, dem das Duo sich konzentriert widmen müsste, denn es lenkt vom zentralen Gedanken ab.
Die Kultur der PC-Fantasyspiele hat in dieser Hinsicht ohnehin schon längst unsere Gegenwart in Richtung Zukunft verlassen und dabei auch soziopolitisch neue Vorstellungen entwickelt. Aber auf andere Bereiche der Kultur hat sich das bisher nur randständig niedergeschlagen, weder ästhetisch, noch philosophisch. Die Mode von Namilia profitiert sehr vorteilhaft von solchen Vorstellungen und macht es vor. Sie tritt ebenso kosmopolitisch auf wie die Gamerkultur und es gelingt ihr, das Utopistische mit der Gegenwartsrealität zu verknüpfen.
Trotz allen Wettstreits um innovative Gestaltungslösungen der Modekultur der letzten zwei Jahrzehnte, in denen die Standpunkte der Designs eher auseinanderdrifteten als sich verdichteten, gab es unterm Strich nur Lösungen für dezidierte Gruppierungen und keine einheitliche Perspektive im Sinne einer Avantgarde. Die futuristischen Ansätze der 80er Jahre waren längst wieder verworfen (Mugler, Gauthier & Co. fristen immerhin noch ein angesehenes Dasein im Rummel) und über lange Stecken verstrickten sich die ästhetischen Gestaltungsmodi in dekonstruktivistische und konstruktivistische Verfahren und Samplingmethoden, ohne zu einer wirklichen Linie zu finden – bis heute. Nan Li und Emilia Pfohl, die beiden Designer von Namilia, beteiligen sich nicht an dieser Strömung und schlagen sich auch nicht mit den anti-ästhetischen Statements vieler Berliner Kollegen herum. Ihre Sachen kommen sehr geradlinig und trotzdem differenziert daher. Schon die betont feministische Seite der Entwürfe legt sich durchaus attraktiv und weltanschaulich fest – sie nennen es neue „Religion“: „Eine Religion, die keine sexuellen Tabus kennt. Eine Frauenreligion.“ Patriarchismus und die „Ewige Sünde“ lassen sie hinter sich oder wollen zu mindestens mit der provozierenden Gestaltung das klassische Interaktionsmodell in Frage stellen und durch den Entwurf eines neuen, starken und hedonistischen Selbstbewusstseins ersetzen. Dabei jonglieren die beiden Designer stets bewusst auf der Kante zwischen rebellischer Provokation und utopistischer Vergegenwärtigung und genau das verleiht ihrer Mode diese starke Faszination. Und nicht zu vergessen: Der letztlich spielerische Umgang mit alledem ist wunderbar.
Zugegeben, die gestalterischen Einflüsse sind nicht neu, fast alle Gestaltungsmittel und -konnotationen der Namilia-Kollektion gab es schon, ob in den 80ern, den 00er Jahren, in der Fetischszene, in der Fantasy-Spielewelt, in der Gothicszene, in der Arbeitskleidung und sonstwo. Man erlebt sie hier aber nicht als zitierende Additionen sondern als klug gemachte Synthese, darin liegt ein entscheidender Unterschied, vielleicht sogar der Vorsprung gegenüber den elaborierenden (De)Konstruktivisten. Gleichzeitig legen die Gestalter auch noch wert auf guten Geschmack, der anderswo leichtfertig negiert wird.
Wenn Namilia gesellschaftsfähig wird, sind wir in mehrfacher Hinsicht schon einen guten Schritt weiter. Vorerst reicht es aber schon, wenn der verdiente Erfolg sichtbarer wird.
In Ermangelung besserer Anschauung verweisen wir ausnahmsweise auf die Videodoku der ss19 Schau in New York. Der Soundtrack dazu bestätigt außerdem die radikale Haltung.