Sample-CM – Margot Charbonnier AW16
Fotos: Boris Marberg und Meike Tietze
Text: Gerhard Paproth
Da war sich unsere Redaktion mal gar nicht einig: „Ganz toll“ und „grauenhaft“ fielen als erste Kommentare nach der Schau auf der Berliner Fashionweek im Me Collectors Room. Vielleicht ist das ja auch mal ganz gut, dass aktuelle Konzepte von Jungdesignern wieder für Diskussionsstoff sorgen und alternative Konzepte eine Chance bekommen.
Margot Charbonnier formuliert ihr Tätigkeitsfeld als independent Trans- oder Multidiciplinary Fashion, was immer das heißen mag und als zukunftsträchtiges Selbstverständnis bedeuten soll. Seit 2010 ist die ehemalige Studentin der Soziologie und danach des Central Saint Martins College of Art and Design und der Ecole supérieure des arts appliqués Duperré als Designerin mit ihrem Sample-CM-Label aktiv und sucht nach intelligenten Designlösungen, was ja schon einmal als reizvoller Ansatz zu sehen ist. Der Begriff Sample verweist dabei wohl auf die Vermischung unterschiedlicher, vorhandener Herkünfte.
Die Schau nimmt erst einmal Abstand vom klassischen Catwalk aus dem Backstage heraus, sondern verlegt diesen gleich mit auf den Laufsteg. Dort hängen an ambulanten Kleiderstangen die vorzuführenden Teile und zwei futuristisch gekleidete An- und Ausziehhelfer stehen daneben. Diese weiße Bekleidung ist auch Teil der Kollektion, hautenge Overalls mit Kniebundabschluss unten, Rundhalsöffnung oben und eingefügten Materialien, deren Sinn sich nicht durch Anschauung erschließt. (In den 50er Jahren gab es Männerunterhosen, die mit dem Unterhemd zu einem Stück verbunden waren – diese sahen ziemlich genau so aus und waren zwar warm, aber höchst unpraktisch im Alltag, zudem galten sie als Abzweiger des Liebestötergenres, wie ich mich noch erinnern kann.) Auf dem Kopf tragen die beiden Lakaien weiße Basecaps mit Sonnenschutztüchern für die Haare. Das Modell kommt farblos in nudefarbenem Unterwäschestück und an den Füßen befestigten Sohlen auf den Laufsteg, wo sie von den beiden Helferlein zu sanft einsetzender Musik bekleidet bzw. nur teilbekleidet wird. Dieser Dienst ist großenteils auch nötig, denn einige hautenge oder kompliziert gemachte Outfits kann man offensichtlich gar nicht alleine anlegen. Blaue, gelbe, hautfarbene und auch bedruckte Textilbänder sorgen abschließend oft noch für rätselhafte Verschnürungen oder werden einfach als Accessoires hinzugefügt. Nicht immer wird hier zwischen Ober- und Unterbekleidung unterschieden und die Vollständigkeit eines Outfits spielt keine Rolle.
Grundfarben ergänzen das Weiß (oder beige) zu kräftigen Farbakzenten eines ganzen Kleidungsstückes, die Silhouette ist, abgesehen von den hautengen Stücken, meist bewusst unförmig – oft körperfern, halblang an den Extremitäten und ohne Taille. Es gibt aber auch Shirts, Pullover und Hosen in eher klassischem Zuschnitt. Stoffe mit geriffelten Oberflächen, zum Teil eingesetzt, zum Teil in unterschiedlichen Richtungen verlaufend, vermitteln, genau wie diverse Kunststoffmaterialien, einen futuristischen Flair, der durch die besagten Schnüre noch unterstrichen wird.
Dieser futuristische Touch erweist sich letztlich zwar als der reizvolle Aspekt bei vielen Teilen, das bewusste Unterlaufen ästhetischer Üblichkeiten und sexueller Eigenart relativiert diese attraktiven Momente allerdings gleich wieder.
Gelungen an dieser Schau ist sicherlich seine Zeichenhaftigkeit in den Konzepten: Das Modell ist nur noch eines und heruntergefahren auf den normalen Menschen ohne Zusatz. Die Kleidung betont ein praktisches Erscheinungsbild (ohne das zu sein) und versucht sich vom gewohnten Formenkanon zu emanzipieren. Farben und Extras werden ebenfalls minimalisiert und suchen dennoch nach neuen Gestaltungsaspekten, ohne üblichen Reizen oder Erfahrungen folgen zu müssen.
Daraus wird das Grundprinzip dieser Schau – sofern ich es richtig verstanden habe – erkennbar: Experimente für die Zukunft, unter neuen Prämissen und vorsätzlichem Verzicht auf das, was heute als sinnlich bzw. attraktiv angesehen wird.
Ausgereift scheint das Konzept noch nicht zu sein, darum fühlt man sich als Betrachter noch bei einer Zwischenschau aus den mittleren Semestern (mit experimentellen Übungen) einer Modeschule. Andererseits versteht sich die Fashionweek Berlin auch als eine Bühne für Nachwuchsdesigner, und da hat eine solche Schau durchaus auch ihre Berechtigung.
Schließlich verweist sie darauf, dass junge Designer nicht nur der oberflächlichen Schönheit huldigen wollen, sondern durchaus auch gesellschaftliche Konstellationen und Zukunftsperspektiven durchdenken und gestalterisch erkennbar werden lassen. Und an der Stelle relativieren sich die spontanen Reaktionen „ganz toll“ und „grauenhaft“ in einem weiteren gedanklichen Kontext.